: SPD guckt ratlos nach rechts und grün
■ Die UB-West-Delegierten wollen sozialdemokratisches Profil auch mit der CDU
Wenn die Bevölkerung mehr rechts wählt, muß sich eine Volkspartei wie die SPD dann auch mehr rechts präsentieren? Oder muß sie ihr Profil deutlicher dagegenhalten? Diese Frage steht hinter der Unsicherheit und den Selbstzweifeln, die die SPD derzeit beherrscht.
„Ich bin mit mir noch nicht im Reinen“, bekannte Bildungssenator Henning Scherf am Dienstag abend vor den Delegierten des SPD-Unterbezirks Bremen- West. „Ich laufe seit Sonntag durch die Stadt und gucke jeden an und frage mich: Wollen die noch mit uns zu tun haben?“ Der Senat habe noch keine Debatte über die Ursachen des Wahldebakels angestellt, deren Ergebnisse er berichten könne. Nach seiner persönlichen Ansicht seien die „Gründe in Bremen“ zu suchen. Da suchte Scherf dann allerdings nicht, sondern referierte aus dem Schatzkästchen der Soziologie: Es habe einen Wandel im Selbstverständnis der Großstadtbevölkerung gegeben, der sich früher schon in alten SPD-Hochburgen wie München, Frankfurt, Berlin ausgewirkt habe. Der Koalitions- Verhandler-Kommission, der er selbst angehört, wollte er keinerlei Vorgaben seitens der Partei gemacht wissen.
Die UB-Vorsitzende Dagmar Lill sah das deutlich anders. Wenn dem CDU-Kandidaten Nölle der Vorwurf gemacht werden müsse, daß er mit seiner Asyl- Rhetorik den „Völkerhaß nur etwas höflicher formuliert“ mitgeschürt hat, dann könne man mit denen doch hinterher keine Koalition machen.
Lill, Befürworterin von Rot- Grün, sah durchaus eine Mitverantwortung ihres Unterbezirks für die Niederlage, aber auch des „Zickzackkurses“ des Senats, der „Glaubwürdigkeit“ gekostet habe. Klares sozialdemokratisches Profil forderte die Ausländerbeauftragte und UB-Vorsitzende, weniger Engagement für High-Tech, mehr für sozial Benachteiligte.
Die Delegierten, die sich zahlreich zu Wort meldeten, spitzten die Debatte dann doch sehr auf die Koalitionsfrage zu. „Die Zukunft, auf der wir alle aufbauen, ist rechts“, erklärte sich Torben Mammen und erinnerte daran, daß das klassische SPD-Klientel, Arbeiter mit einfachem Bildungsabschluß, nach rechts gegangen sei. „Wieweit sollen wir den Menschen nach rechts hinterherlaufen?“, konterte Konrad Kunick. Christoph Butterwegge meinte, im Wahlkampf habe es nur einen „Wettbewerb um das bessere Verwaltungshandeln“ gegeben und dann „Plakate auf Kindergartenniveau“ — keine Visionen, keine programmatischen Aussagen. Er wollte sich von der Parteiraison nicht länger verbieten lassen, seine Sympathie für Rot-Grün öffentlich zu machen.
Annelise Leinemann kritisierte heftig die Sozialdenatorin Uhl wegen der Asylbewerber- Häuser in der Mayerstraße (“Ich weiß nicht, wer uns in dieser Straße noch wählen soll“) und die unseriösen Grünen (“Ich weiß nicht, wie wir mit diesen Leuten zusammenarbeiten sollen“). Mit den Grünen hätte Bremer 18.000 Daimler-Arbeitsplätze weniger.
Wie radikal sozialdemokratische Selbstkritik sein kann, führte der Häfen- und Bausenator Konrad Kunick den Delegierten vor. “Unsere Politik der opportunen Hinnahme eines rechtswidrigen Zustandes bei der Bearbeitung der Anträge von Asylbewerbern hat nicht nur abgeschreckt, (...) sondern bei vielen auch Dämme brechen lassen, die die Flut der aggressiven Hatz und Ablehnung gegenüber eben diesen Flüchtlingen erst so offen zutage treten ließ“, hatte der SPD-Politiker Detmar Leo aufgeschrieben. „Ich habe auch so gedacht und geschwiegen“, bekannt Kunick sich zu seiner Verantwortung. Die einst weltoffene Hafenstadt Bremen habe „wie ein Provinznest im Verhältnis zu Ausländern“ reagiert.
In einer Resolution wiederholten die UB-Delegierten schließlich Ziele aus dem Wahlprogramm. Die Schlußfolgerung, daß man „aufgrund unserer inhaltlichen Ziele“ keine Basis für eine Koalition mit der CDU sähe, wollten aber nur 45 von 85 Stimmberechtigten in das Positionspapier aufgenommen wissen. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen