: Blankoscheck für Wedemeier
■ SPD-Unterbezirk Ost will sich in der Koalitionsfrage nicht festlegen
Nach rund drei Stunden Diskussion brachte es ein Delegierter des SPD-Unterbezirks-Ost auf einen Punkt: „Das größte Problem einer Koalition ist die Koalition mit uns selbst.“ Bis dahin hatten die RednerInnen im Drei-Minuten- Takt versucht, die Ursachen für das Wahldebakel zu beschreiben, notwendige Konsequenzen daraus abzuleiten und ihre jeweiligen Koalitionswünsche vorzutragen. Und zeichneten so das Bild einer Partei, die trotz vieler Worte sprachlos vor der Niederlage steht, die als eine wesentliche Konsequnz personelle Erneuerung fordert, ohne dabei Namen zu nennen, und für die eine Koalition zunächst einmal als Angriff auf die Art von Stabilität erscheint, die die WählerInnen gerade abgewählt haben.
Nur zwei hatten mehr als drei Minuten: Und diese Gelegenheit nutzte vor allem Bürgermeister Klaus Wedemeier, um die Versammlung auf seine Position festzulegen: „Die Hälfte ist für rot- grün, die Hälfte ist für die Ampel, und je länger das dauert, um so mehr sind für rot-schwarz“, beschrieb er seine Wahrnehmung der Stimmungslage in der Partei. Um dann zu begründen, warum er eine „breite Mehrheit“ einer rot- grünen Koalition vorzieht.
Neben programmatischer Unterschiede beim Wohnungsbau und in der Flächenpolitik sorgt sich Wedemeier vor allem um die parlamentarische Mehrheit. „Das könnte eine Koalition sein, die in der ersten Stunde zerbricht.“ Dann nämlich, wenn Grüne oder die SPD-Fraktion nicht alle Stimmen hinter die dann vorgeschlagene Senatsriege bekommt. Vor alleinigen Koalitionsverhandlungen mit den Grünen, wie sie der UB-Vorstand in seinem Leitantrag befürwortet hatte, riet er ab:
„Wer jetzt sagt, rot-grün, der liefert die Partei an die Grünen aus.“ An seiner Rolle als künftiger Senatspräsident hat Wedemeier keinerlei Zweifel, wenn er auch zugab: „Der Spitzenkandi
dat hat einiges mit dieser Wahlniederlage zu tun.“ Und dann benannte er als persönliche Fehler den Verzicht auf einen eigenständigen Bausenator und bedauerte, daß es ihm nicht gelungen sei, das politische Talent Bernd Meyer zu halten. Das Wort Filz kam Wedemeier zum ersten Mal als öffentliche Selbstkritik über die Lippen. Der Sankt-Jürgen-Skandal habe „konkret“ etwas mit Filz zu tun, und die Hans-Wendt-Stiftung „abgestuft auch.“ Genossenfilz, das geht für Wedemeier tiefer als die Affaire um den SPD-Abgeordneten Detlef Griesche, „das geht, seien wir ehrlich, bis in die Ämter.“ Und mitten in seiner Rede versteckte Wedemeier eine kleine Drohung: „Ich klammere mich nicht sklavisch an mein Amt. Wer das glaubt, irrt, vielleicht gewaltig.“
Dabei hatte die SPD-Unterbezirksvorsitzende Tine Wischer schon in ihrer Eingangsrede die Verantwortung auf alle Parteischultern verteilt und Wedemeier ausdrücklich und unter Beifall für den permanenten Wahlkampfeinsatz gedankt. Sie sah einen Grund
hier bitte
die Karikatur
für den Erdrutsch in fehlenden innerparteilichen Diskussionen über kontroverse Themen, in dem Versuch, es allen Recht zu machen und letzlich auch in der Entscheidung des Senats, Asylbewerber gegen Recht und Gesetz zurückzuweisen. Dies habe sie mit sich machen lassen, obwohl sie dies für einen Fehler gehalten habe. Ihr Koalitionswunsch: „Eine rot-grüne Koalition unter Klaus Wedemeier.“
Die Festlegung auf rot-grün kippte, ganz im Sinne des Bürgermeisters, der SPD-Abgeordnete Manfred Fluß. Fluß warf Wedemeier zuerst vor, die Senatsressorts Inneres und Soziales mit Neulingen, die das nicht bewältigen konnten, besetzt zu haben, und am Wahlabend nicht nachdenklich genug reagiert zu haben, um dann einen Antrag zu stellen, der ausdrücklich jede Festlegung in der Koalitionsfrage vermeidet. Dagegen redeten zwar die UB- Ost-Linken Anne Albers, Elke Steinhöfel, Heinz-Gerd Hoffschen und Susi Möbbeck (“Die Partei muß der Verhandlungs
kommision Vorgaben machen und nicht umgekehrt“), und Horst Isola bekam für eine klare Position gegen rot-schwarz den stärksten Beifall des Abends. Doch zum Schluß setzte sich der Fluß- Antrag mit knapper Merheit durch. Holger Bruns-Kösters
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