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Der Bundeswehr den Marsch blasen

■ Totalverweigerer sitzt seit Blockadeaktion in U-Haft/ »Kampagne gegen Wehrpflicht« will bei Bundeswehr-Konzerten in Potsdam, Cottbus und Frankfurt an der Oder dagegen protestieren

Berlin/Potsdam. Der Totalverweigerer Ralf Wiedemann aus Wuppertal sitzt seit 1.Oktober in Berliner Untersuchungshaft. Er war bei einer Protestaktion der »Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär« gegen die Rekrutenverabschiedung am Bahnhof festgenommen und nicht mehr freigelassen worden, weil gegen ihn ein Haftbefehl der Wuppertaler Staatsanwaltschaft wegen »eigenmächtigen Entfernens von der Truppe« vorlag.

Ralf Wiedemann sollte im Januar kurz vor Beginn des Golfkriegs eingezogen werden, hatte dazu aber begreiflicherweise keine Lust. Er konnte es mit seinem Gewissen aber auch nicht vereinbaren, Zivildienst abzuleisten — wegen dessen Einbindung in das »Verteidigungssystem«.

Daß er nun in U-Haft sitzt und wahrscheinlich in Kürze in den Knast seiner Heimatstadt verschoben werden soll, findet seine Wuppertaler Anwältin juristisch »eindeutig unverhältnismäßig«, zumal ihr Mandant bereits im Frühjahr versucht habe, sich öffentlich zu stellen. Damals war er in Begleitung der Presse vor die Kaserne »seines« Bataillons gezogen, doch der Kommandierende wollte ihn nicht sehen. Im Sommer war Ralf Wiedemann quasi öffentlich ins Asyl gegangen, als er bei einer Wuppertaler Kirchengemeinde Unterschlupf fand.

Vertreter der Kampagne gegen Wehrpflicht haben gestern Protestaktionen gegen Wiedemanns Inhaftierung angekündigt. Sie wollen dem »Kammerorchester der Bundeswehr« den Marsch blasen, wenn dieses am 26. und 27. Oktober in Potsdam, Cottbus und Frankfurt an der Oder Brandenburgische Konzerte von Johann Sebastian Bach, Friedrich dem Großen und weiteren brandenburgischen Komponisten aufführt. Dem Militär sei »keine öffentliche Repräsentanz« zu gönnen, »schon gar nicht, wenn Kriegsdienstverweigerer hinter den Kulissen verhaftet werden«.

Ziemlich verschreckt reagierten die Organisatoren der unter Schirmherrschaft Stolpes stehenden und unter anderem von der Hochtief AG gesponsorten Brandenburgischen Konzerte bei ihrer gestrigen Pressekonferenz in Potsdam auf diese Ankündigung. Wolfgang Hildemann, der für den »Landesverband brandenburgischer Komponisten« diese Konzertreihe organisieren half, ließ sich zum öffentlichen Sinnieren hinreißen, ob denn nun Anschläge auf den Ministerpräsidenten zu befürchten seien. Christian Hertz von der Kampagne gegen Wehrpflicht konterte mit dem Angebot, statt der Bundeswehr doch bitte »das Kammerorchester der Kriegsdienstverweigerer« einzuladen. Es sei nicht schwer, ein solches bis zum Konzerttermin zusammenzustellen.

Auch die Initiatoren einer gegenwärtigen Ausstellung über das Leben des Aufklärers Voltaire im Potsdamer Rathaus sind wenig begeistert darüber, daß die Bundeswehrsoldaten am 26.Oktober um 17 Uhr ausgerechnet dort in ihrer Mitte die Brandenburgischen Konzerte aufführen wollen. Wenigstens ohne Uniform, fordern sie jetzt. usche

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