: Vom Nachttisch geräumt: Lob der Fälschung
Fälschungen erfreuen sich steigender Beliebtheit. Kein Mensch achtet darauf, daß ihm das Polo-Hemd angenehm auf der Haut liegt. Hauptsache, ein Krokodil suhlt sich drauf. Das von den Firmen gezüchtete Markenbewußtsein will getäuscht werden. Ganze Industrien leben davon. Die Fälscher leben vom Wahn, den andere mittels aufwendiger Dauermassage herangezüchtet haben. Je erfolgreicher, desto mehr Parasiten locken sie an. Desto stärker bedrohen die ihren Wirt. Ist das „echte“ Lacoste-Hemd besser als die Hongkong-Fälschung? Eine müßige Frage, nachdem die Firma alles daran gesetzt hat, daß wir unbedingt das mit dem Krokodil kaufen. Der Versuch, Industrieware unverwechselbar zu machen wie die Werke der Kunst, mußte scheitern, denn auch die wurden immer schon und immer erfolgreich gefälscht.
Anthony Grafton zeigt, wieviel wir der akribischen Wut der literarischen Fälscher und ihrer Entlarver verdanken. Seine Geschichte vom Sophokles-Fälscher Dionysios bis zu Kujas Hitler-Tagebüchern zeigt einen Kampf, wie wir ihn aus der Rüstungsindustrie kennen: der nimmerendende Krieg zwischen Geschoß und Panzerung. Je stärker die Waffen der Kritik, je sicherer ihre Pfeile die Tarnwände der Fälscher durchstoßen, desto ausgefeilter werden die Techniken des Betrugs. Beide lernen voneinander.
Grafton ist es gelungen, eine Geschichte der Beziehung der beiden zu schreiben, die ganz auf die Künstler verzichtet. Genial ist der Fälscher, wenn es ihm gelingt, genau den Text zu schreiben, den die Kritik erwartet. Die Nähe zu einem Original ist zweitrangig. Fälschungen dokumentieren die Sicht einer Epoche auf eine andere. Sie funktionieren in dem Maße, in dem sie konform sind mit ihr.
Anthony Grafton: älscher und Kritiker — Der Betrug in der Wissenschaft. Aus dem Englischen von Ebba D. Drolshagen, Verlag Klaus Wagenbach, 99 Seiten, 25 DM.
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