: Vom Nachttisch geräumt: Bewaffneter Kampf
Der 1938 geborene Kenianer Ngugi Wa Thiongo ist heute wahrscheinlich der bekannteste Schriftsteller Schwarzafrikas. Er schreibt seit Jahren nicht mehr in englisch. Sein neuestes Buch Matigari hat er in Gikuyu geschrieben. Es ist ein extrem unzeitgemäßes.
Ngugi Wa Thiongo knüpft an die Traditionen der mündlichen Überlieferung an, schreibt scheinbar den auf den Märkten sitzenden Erzählern nach dem Mund. Wiederholungen, pathetische Wendungen unterbrechen und bestimmen zugleich den Fluß der Erzählung. Nach ein paar Seiten freilich hat der Leser sich daran gewöhnt, ja wird fast süchtig danach und kostet die Exklamationen aus, als wäre er selbst Erzähler und Zuhörer in einem. Der Text wirkt nicht mehr unzeitgemäß oder vielleicht doch gerade, nämlich modern.
Unzeitgemäßer noch der Plot. Matigari, ein alter Kämpfer aus dem antikolonialen Befreiungskampf, vergräbt seine Waffen, um sein Land aufzubauen. Die neuen — schwarzen — Herren unterdrücken ihn, wie die alten weißen es getan haben. Matigari kämpft weiter. Gewaltlos. Er scheitert. Am Ende werden die Waffen wieder ausgegraben, und der bewaffnete Kampf beginnt wieder. Eine Parabel. Spannend erzählt und gerade das Richtige in einer Zeit, da keiner mehr etwas wissen will von Afrika. In Kenia wurde das Buch verboten. Die Erzähler hatten es im ganzen Land verbreitet, und das Volk machte aus der erfundenen Figur eine wirkliche. „Im Oktober 1986 war in Kenia die Originalfassung des Romans in Gikuyu erschienen. Bereits im Januar 1987 gab es Berichte der Geheimpolizei, daß unter den Bauern in Zentralkenia heimliche Gerüchte über einen Mann Matigari umliefen, der durch das ganze Land wandere und Wahrheit und Gerechtigkeit fordere. Anweisungen für eine sofortige Festnahme wurden erteilt, doch die Polizei entdeckte, daß Matigari nur eine fiktive Person in einem gleichnamigen Roman war.“ Oscar Wilde hatte dem Realismus-Gebot einst die Einsicht des l'art pour l'art entgegengehalten: Life imitates art.
Ngugi Wa Thiongo: Matigari. Übersetzt von Susanne Köhler. Peter Hammer Verlag, 206 Seiten, 32 DM.
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