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"Moskaus Mann" bei den Grünen

■ Von 1980 bis 1989 hat der PDS-Politiker Dirk Schneider seine früheren Mitstreiter bei der Berliner AL und den Bonner Grünen bespitzelt und dafür von der Stasi Geld kassiert. Gestern legte er sein Mandat...

„Moskaus Mann“ bei den Grünen Von 1980 bis 1989 hat der PDS-Politiker Dirk Schneider seine früheren Mitstreiter bei der Berliner AL und den Bonner Grünen bespitzelt und dafür von der Stasi Geld kassiert. Gestern legte er sein Mandat nieder.

Bis abends um halb zehn debattierten am Dienstag abend die PDS-Fraktionäre im Souterrain des Berliner Abgeordnetenhauses über ein eigentlich vertrautes Thema. Denn von der Stasi-Vergangenheit waren schon drei der Ihren eingeholt worden. Doch diesmal galt es nicht DDR-, sondern Westvergangenheit aufzuarbeiten. Dirk Schneider, 1990 von den Grünen zur PDS konvertiert, hatte am Nachmittag seine Kontakte zu „Mitarbeitern des Ministerrates“ der ehemaligen DDR offenbart. Zehn Jahre lang hatte er mit dessen konspirativen Repräsentanten regelmäßig parliert. Er habe jedoch, so bekannte Schneider treuherzig, keine Ausforschung betrieben und keine Informationen beschafft. Darüber hinaus habe er mit Absicht niemals etwas gesagt oder unternommen, was einem anderen Menschen schaden sollte.

Seine Fraktionskollegen waren Schneiders Ausführungen allzu verständlich, entsprechend schwer taten sie sich mit den Konsequenzen. Im Laufe der zermürbenden Beratungen verließ knapp die Hälfte von ihnen den Raum. Erst als die Runde solchermaßen zusammengeschrumpft war, fand sich eine knappe Mehrheit, die Schneider gegen seinen Willen die Niederlegung seines Mandates nahelegte. Sie beendeten damit nicht nur die kurze Strecke des gemeinsamen politischen Weges, sondern erleichterten auch Generalbundesanwalt von Stahl den Zugriff auf den Abgeordneten. Von Stahls Fängen wäre Schneider allerdings ohnehin nicht entkommen, denn bereits Dienstag nachmittag hatten alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, außer der PDS, ihre Bereitschaft signalisiert, seine Immunität aufzuheben. Der oberste Strafverfolger läßt bereits den Sachverhalt prüfen. Sollte sich der Verdacht bestätigen, daß Schneider jahrelang für die Hauptabteilung Aufklärung der Staatssicherheit aktiv war, dürfte er mit einer Anklage wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit rechnen. Schneider hat bereits zugegeben, daß er von seinen östlichen Gesprächspartnern Geld für seine Bemühungen erhalten hat, wenn auch „marginale Summen“. Falls von Stahl ihn zum besonders schweren Fall erklärt, droht Schneider ein Strafrahmen von bis zu zehn Jahren.

Während die Strafverfolgungsbehörden die juristische Seite des Falles Schneider durchleuchten, versucht man bei den Grünen, die Höhe des politischen Schadens auszuloten. Denn der 52jährige Journalist zählt zum grünen Urgestein, war in so ziemlich allem aktiv, was die Partei an Ämtern und Mandaten zu bieten hatte. Seine journalistischen Sporen verdiente er sich als Schreiber im legendären Anarchoblatt '883‘, in den siebziger Jahren folgte eine Tätigkeit bei der Spontizeitung 'Radikal‘, die sich später zu einem Organ der Autonomen entwickelte. 1978 gehörte er zu den Gründervätern der Alternativen Liste in West-Berlin. Für sie zog er 1983 mit der ersten Grünen- Mannschaft in den Bundestag ein. Dort besetzte er sogleich ein politisches Feld, das die Linken traditionsgemäß meist links liegen ließen: Er wurde Vertreter der Grünen im innerdeutschen Ausschuß. Er hat, so entsinnt sich sein ehemaliger deutschlandpolitischer Widerpart bei der AL, Wolfgang Schenk, die Deutschlandpolitik zum Thema gemacht — und das in seinem Sinne. Schneider galt als strikter Vertreter der Zweistaatlichkeit. Sein Bemühen war auf gute Kontakte zu den DDR- Oberen gerichtet.

Mit dieser Grundhaltung stand Schneider nicht alleine in der Partei. Viele Linke, aber auch Friedensbewegte teilten diese Forderung. Daneben suchten eine Reihe von Grünen Kontakt zu den Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die sich Anfang der achtziger Jahre in der DDR meist unter kirchlichem Dach bildeten. Um auf die Lage der Menschenrechte in der DDR aufmerksam zu machen, veranstalteten Petra Kelly und andere 1983 auf dem Alexanderplatz eine Aktion. Bei einem Besuch bei Honecker kurze Zeit später trugen sie T-Shirts mit der Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“. In der anschließenden fraktionsinternen Manöverkritik mußte sich Kelly heftige Vorwürfe Schneiders anhören, sei doch ihre Aktion den guten Beziehungen zur DDR abträglich gewesen. Schneiders deutschlandpolitische Vorstellungen, so befindet sein langer politischer Weggefährte, der parlamentarische Geschäftsführer der Berliner Grünen, Jürgen Wachsmuth, hatten etwas Religiöses. Weniger klerikal kanzelte bereits 1983 Joschka Fischer seinen Fraktionskollegen im Bonner Abgeordnetenhochhaus ab. Schneider sei, so befand der hessische Realo kurz und bündig, Moskaus Mann bei den Grünen.

Er war ein Einflußagent, umschreibt im nachhinein die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Renate Künast, Schneiders Wirken. Er sei in der Deutschlandpolitik der Partei immer steuernd tätig gewesen. Nicht nur die ersten Jahre bei der grünen Bundestagsfraktion habe er mit seinem Stil geprägt, sondern auch die politischen Auseinandersetzungen bei der Berliner AL. Er traf sich auch mit Mitgliedern der Bürgerbewegung in Ost-Berlin und erstattete seinen Stasi-Kontaktmännern darüber Bericht. Mancher seiner ehemaligen Parteifreunde fand es konsequent, daß er schließlich zur PDS wechselte. Im Sommer ließ sich Schneider als Abgeordneter von der Gauck-Behörde überprüfen. Am 12. September erhielt er das Ergebnis. Gegen ihn lagen keine Erkenntnisse vor. Vier Wochen später offenbarte er sich gegenüber einer alten Parteifreundin. Dieter Rulff, Berlin

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