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In Kroatien schweigen die Waffen

Waffenstillstand zwischen Armee und Kroaten/ Aber fast niemand glaubt an eine dauerhafte Feuerpause/ Kroatien: Vertrag zur Verhinderung eines Massakers an der Zivilbevölkerung  ■ Von Roland Hofwiler

Der zwischen Kroatien und der jugoslawischen Armee unterschriebene Waffenstillstand ist gestern weitgehend eingehalten worden. Aber die jugoslawische Kriegslogik zeigt, daß nach jedem Waffenstillstand die darauf folgenden Kämpfe brutaler als je zuvor ausbrachen.

So meldete sich gestern ein Kommentator von 'Studio Ossijek‘ zu Wort — und so denkt die Mehrzahl der Jugoslawen. Seit dem gezielten Luftangriff auf das Zagreber Regierungsviertel verlassen Tausende vorsorglich die kroatische Hauptstadt. Auch gestern wollte die Autokolonne auf dem jugoslawischen „Autoput der Brüderlichkeit und Einheit“ in Richtung Ljubljana nicht abreißen. Die Zeitungen sprechen mittlerweile von 360.000 Menschen, die auf der Flucht sind.

Tatsächlich kam es auch gestern zu kleineren Scharmützeln an beiden Seiten der Front und im ostkroatischen Kampfgebiet. Der Waffenstillstand, der bis zum Abschluß der EG-Friedenskonferenz gelten soll, sieht das sofortige Ende aller Blockaden kroatischer Städte durch die Armee und der Armee-Kasernen durch die Kroaten vor. Den Streitkräften wird erlaubt, mit allen Waffen und technischem Gerät abzuziehen. Ausdrücklich wurde die Lieferung von Medikamenten und Lebensmitteln für die kurz vor der Einnahme stehenden ostkroatischen Städte Vukovar und Vinkovci vereinbart. Die EG-Beobachter sollen die Einhaltung der Feuerpause überwachen.

Wird aber Kroatien, wie die Erklärungen zur Unabhängigkeit vermuten lassen, trotz Mahnungen westlicher Regierungen als Nationalstaat aller Kroaten definiert und die 600.000 Serben lediglich als nationale Minderheit, ist neuer Konfliktstoff vorgezeichnet. Es war gerade Vladimier Šeks, der am 28. September in einem Beitrag für die Wochenschrift 'Globus‘ die Aussiedlung aller in Kroatien lebenden Serben forderte. Nur so könne Kroatien „in Frieden leben“.

Selbst das regierungsnahe Tageblatt 'Vjesnik‘ sah sich daraufhin gezwungen, den kroatischen Spitzenpolitiker zu schelten. Es gebe nicht nur „fünfte Kolonnen“ von kroatischen Serben, die für die großserbischen Ziele Belgrads empfänglich seien, sondern auch eine „sechste Kolonne von dummen Kroaten,die mit ihren Sprüchen dem Belgrader Regime genauso helfen, als würden sie ihm Divisionen von Soldaten und Kanonen schicken“.

In Zagreb sieht die Mehrheit der Einwohner in dem Waffenstillstand „nur ein weiteres taktisches Manöver“ der Generäle, um neu formiert brutaler zuschlagen zu können. „Im Abkommen gibt es Dinge, die für Kroatien unannehmbar sind“, sagte der stellvertretende Regierungschef Zdravko Tomac. „In dieser Lage hat Kroatien keine Wahl gehabt, und wir haben den neuesten Waffenstillstand akzeptiert. Das war mehr eine militärische Entscheidung“, um „ein Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern“.

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