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Tyrann, Tyrann, Tyrallalla!

■ Das »Felgentreu-Schlickkeimer Theater« in der UFA-Fabrik

Zugegeben, das Entere war einfach herrlich! Durch die altehrwürdigen Hallen des großen UFA-Kinosaals schreitend, erwartete das Premierenpublikum der Impressario höchstselbst. Begrüßte mit Handschlag, wen es zu begrüßen galt, und geleitete die Damen formvollendet zu ihren Plätzen. Das traditionell eher etwas leger gewandete UFA-Publikum mußte sich — zur hämischen Freude der übrigen Gäste? — mit freundlich distinguierten Sätzen wie: »Das nächste Mal doch bitte im Anzug!« auf die hinteren, weil dunkleren Plätze verweisen lassen und ließ sich, ganz brav, auch weiter kunstfertig beleidigen. Frau Rosemarie Kloke, Berliner Schnauze, bediente die zahlenden Gäste nämlich so herzergreifend höflich, wie wir es in den verblichenen Glanztagen freundlicher Mitropa-Gaststätten nicht vollendeter hätten erleben können: »Watt, zwei Becks? Das wird ja wohl reichen! Oder woll'n S'e sich hier etwa besaufen?«

Allemal besser wäre es gewesen, diesen Vorsatz, aller Peinlichkeit zum Trotze, in die Tat umzusetzen. Denn was kam, als sich das Potsdamer »Felgentreu-Schlickkeimer Theater« mit einiger Verspätung dann endgültig zum Mimen anschickte, konnte sich mit dem Witz des Vor-Spiels keineswegs messen und hätte das ein oder andere Bier zum Trost durchaus vertragen.

Der Programmzettel verriet In Sturmes Not, und so war das Ganze dann auch. Zu meinem persönlichen Bedauern büßte Franz Felgentreu — kaum hatte sich der Vorhang gehoben — seine Grandezza-Rolle unwiederbringlich ein und mußte, dem Regiment seines Meisters Schlickkeimer gehorchend, zu einem nur noch wage komischen »Ernst Hilbich«- Verschnitt mutieren. Rasch in die Kulisse des wackeligen Puppentheaters geschlüpft, klamottierte er fortan das »Friesenschicksal in drei Akten« mit gemeinen Stabpuppen und noch gemeineren Witzen. Begleitet vom pathetisch vortragenden Dr. Schlickkeimer, dem wahrlich nichts Komischeres einfiel, als seinem wackeren Gesellen gelegentlich mahnend »Felgentreu!« entgegenzuschmettern. Running gag?

Harro und seine Mannen hatten gerade endlich ihre seemännische Heldentat vollbracht, da wurde das Puppenspiel auch schon bis auf weiteres eingemottet und im Gegenzug Deutschlands älteste Bühnengags reanimiert. Ein offener Hosenknopf, ein verpennter Tonmeister und das »Kunstlied« Rosemarie, das in Herzchen Kloke zu ihrem eigenen Erstaunen tatsächlich die Liebe erweckte — sollte dieser Ausbund an Komik und Erfindungsgabe etwa alles gewesen sein? Mit nichten! Es kam noch schlimmer. Viel schlimmer.

Da geigt ein Geiger namens Battermann ein Violinkonzert ohne Violine, eine Stabpuppe schneuzt sich fortwährend die Pappnase, und weil das alles immer noch nicht lustig genug ist, dirigiert Prof. Kneselbeck- Holländer dann noch Wolf Amadeus Sonstewas. Natürlich vermurkst Tonmeister Koslowski auch diesesmal das Playback für die große Diseuse Alma — was haben wir gelacht! Jetzt fehlt nur noch, daß er ihr das Haarteil vom Kopf reißt, sage ich gerade zu meiner besseren Hälfte, da fliegt sie auch schon. Die Perücke natürlich. Wir nämlich mußten — Pflicht ist Pflicht — auch noch die Bürgschaft von Schiller aussitzen, ein munteres Kasperletheater mit Stasi-Tyrannen und Punkie-Damon.

Tyrann, Tyrann, Tyrallalla! Das Publikum, an seine frühen Kindertage erinnert, intoniert gerade voll Inbrunst die notwendigen »Stürzenden Quellen und schnellenden Ströme«, da erleidet der Direktor in einem lichten Moment schonungsloser Selbstkritik einen folgenschweren Herzanfall und wird — schade, schade — aus dem Saale getragen.

Das wäre nun wirklich der passende Moment gewesen, der Sache ein würdiges Ende zu bereiten, Aber hart gegen sich und sein Publikum, rafft sich Freund Schlickkeimer noch einmal zum großen Finale auf: »Mich, Henker!« ruft er, »erwürget! Da bin ich, für den er gebürget!« Leider hat auch diese Weisung keine durchgreifende Wirkung. Und überglücklich, den Abend unversehrt überstanden zu haben, stürmen so alle noch einmal die Bühne, die Kloke, die Diseuse und selbst Koslowski, ganz textfest eilt herbei: »Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte.« Da wollen wir nicht weiter stören und ziehen uns taktvoll zurück. Auf Nimmerwiedersehen. Hoffentlich! Klaudia Brunst

Vom 9.10, bis 3.11. Mi bis So 20 Uhr im Kinosaal der UFA-Fabrik.

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