: Aussagen wie Tag und Nacht
■ Im Prozeß um Tötung eines »Republikaners« weitere Zeugen vernommen
Moabit. Vor dem Berliner Landgericht wurde gestern der Prozeß gegen den 22jährigen Ayhan Ö. mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt. Wie berichtet, muß sich der in Berlin aufgewachsene Türke wegen Totschlags verantworten. Er soll den 21jährigen »Republikaner« René G. im November 1990 bei einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe Rechtsradikaler in einem S-Bahn- Zug in Marzahn mit einem Messerstich in den Kopf getötet und zwei weitere Männer schwer verletzt haben. Ayhan Ö., der in der Tatnacht mit zwei türkischen Freunden und zwei deutschen Freundinnen unterwegs war, beruft sich auf Notwehr.
Gestern wurden einer der Freunde des Angeklagten und zwei Freunde des Toten vernommen. Ihre Darstellungen unterschieden sich wie Tag und Nacht. Der 21jährige Teilezurichter Bünyamin H. berichtete, daß mehrere Männer, die »eine Kopfbedeckung trugen, so daß man sie nicht erkennen konnte« in der S-Bahn mit Waffen herumgefuchtelt hätten. »Ich konnte nicht erkennen, ob es eine scharfe Waffe war, ich habe aber gesehen, wie einer von ihnen das Magazin gefüllt hat«, sagte Bünyamin H. Weil er einen Streit vermeiden wollte habe er Ayhan Ö. festgehalten. Bei einer früheren polizeilichen Vernehmung hatte der Zeuge dies damit begründet, daß Ayhan Ö. sehr aufbrausend sein könne.
Zu dem weiteren Geschehen sagte Bünyamin H.: Einer der Männer habe »Deutschland den Deutschen«, »Ausländer raus« und »Heil Hitler« gerufen, Ayhan Ö. an den Haaren gepackt und seinen Kopf an die Wand gehauen. Ein anderer habe ihm einen Fußtritt gegen das Kinn verpaßt. Ayhan Ö. sei aufgesprungen und habe »in seiner Verzweiflung« zu einem Messer gegriffen und dem ersten Angreifer damit »in die Schläfe gehauen«. An der nächsten S-Bahn- Station, so Bünyamin H., seien er und Ayhan Ö. sowie die beiden Frauen und der dritte Türke panisch davon gerannt. Ayhan habe gemeint, daß der Mann tot sei, »aber weil keiner den Stich gesehen habe«, habe man gehofft, daß nichts Schlimmes passiert sei. Auch nach mehrmaliger Nachfrage blieb der Zeuge dabei, daß die Deutschen mit »drei Waffen« hantiert hätten und das Ayhan Ö. von diesen sowohl geschlagen als auch getreten worden sei.
Zwei am Nachmittag vernommene Begleiter des Toten wollten von dem unmittelbaren Tatgeschehen nichts mitbekommen haben, weil sie im Waggon hinter einer Zwischenwand gesessen hätten. Der 20jährige Verkäufer Jörn H. sagte zur Begründung, während der Fahrt habe er sich mit einem Mädchen unterhalten. Außer den beiden deutschen Freundinnen von Ayhan Ö. ist in den Akten jedoch nichts von einer weiteren Frau in dem Waggon bekannt. Von seiner früheren polizeilichen Aussage, daß er selbst eine Kapuze über dem Kopf gehabt habe, Rene G. und zwei weitere Kumpel mit Tüchern vermummt gewesen seien und ein fünfter Mann eine Sonnenbrille getragen habe, rückte Jörn H. gestern ab. Obwohl er vereidigt wurde, behauptete er nunmehr, »keiner sei mit Tüchern vermummt gewesen«. Er habe das damals nur gesagt, weil er von der Polizei eingeschüchtert worden sei. Die Beamten hätten ihn wie einen Täter behandelt. Auch der 20jährige Gebäudereiniger Nico H. gab an, »nichts von dem Vorfall gesehen« zu haben. Nico H. wollte sich die ganze Zeit mit Jörn H. unterhalten haben. Von einem Mädchen neben Jörn hatte der Zeuge allerdings »nichts gesehen«. Der Prozeß wird heute fortgesetzt. plu
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