: Auf dem Balkan kämpfen viele Armeen
Freischärler, Söldner, Parteiarmeen und Spaltungen in der Bundesarmee und auf seiten der kraotischen Nationalgarde verkomplizieren jeden Waffenstillstand im ehemaligen Jugoslawien/ Auf allen Seiten sind jederzeit Provokationen möglich ■ Aus Budapest Roland Hofwiler
Neben der kroatischen Nationalgarde und der jugoslawischen Bundesarmee gibt es mittlerweile noch Dutzende anderer bewaffneter Formationen im ehemaligen Jugoslawien. Auch sie mischen in der einen oder anderen Form im kroatisch-serbischen Krieg mit. Es ist nicht allein ihre militärische Stärke, die diese Formationen gefährlich macht, sie sind zudem jederzeit in der Lage, an einzelnen Punkten der Front Kämpfe zu initiieren. Mehrere der Waffenstillstände, die unter Vermittlung der EG zustande kamen, mußten deshalb brüchig bleiben.
Kapetan Dragan und Rambo Dvorski
Da gibt es zum einen die verschiedenen Söldnergruppen, die sich medienwirksam darzustellen wissen. Wie etwa auf serbischer Seite „Kapetan Dragan“, ein aus Australien stammender Serbe, und auf kroatischer Seite „Rambo“ Sinis Dvorski. Beide Gruppen schlagen ohne Pardon zu und verschärfen somit den Konflikt. Ex-Femdenlegionäre wie Bruno Zorica bildet in Kumrevac kroatische und aus den USA und Australien stammende Freiwillige aus, meist Exilkroaten. Nach Berichten der französischen Presse sollen auch einige Dutzend deutsche und französische Söldner auf kroatischer Seite kämpfen. Abgesehen von ihrem Drang, sich persönlich zu bereichern, also Beute zu machen, sind diese Söldner auch deshalb Störfaktoren für politische Lösungen, weil sie bei einem Friedensschluß arbeitslos würden und sie somit kein unmittelbares Interesse am Frieden haben.
Parteiarmeen
Ganz anders liegt die Gefahr bei den sogenannten „Partei-Armeen“. Gab es im Juni nur die „Tschetniks“ des Freischärlerführers Vojislav Seselj, so bekam er seit Ausbruch der Kämpfe mit Vuk Draskovics „Serbischer Erneuerungsbewegung“ Konkurrenz. Draskovic, im Belgrader Parlament Führer der Oppositionsparteien, rief eine „Serbische Nationalgarde“ ins Leben, deren harter Kern 5.000 Mann umfaßt. Weitere 35.000 Mann könnten sofort bewaffnet werden. Daneben existieren in Belgrad noch die „Weißen Adler“-Verbände eines Mirko Jovic und Dragoslav Bokan. In Südserbien die „Serbische Freiwilligenschar“ von Dragisa Kovacevic, die ebenso wie Kosta Bulatovics „Serbischer Schutzwall“ die albanische Bevölkerung des Kosovo-Gebietes nach Albanien verteiben will, was in ihren „militärischen Mitteilungen“ offen proklamiert wird.
Auf kroatischer Seite spaltete sich ein Teil der „Partei des Rechts“ des ehemaligen Dissidenten Dobroslav Paraga ab und bildete die „Kroatische Waffengarde“, deren angeblich 10.000 Mann nach dem Sieg gegen die Armee die „historischen kroatischen Gebiete“ in Bosnien und Serbien einem Großkroatien einverleiben wollen. Doch nicht nur diese Rechts-außen-Gruppe macht dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman immer mehr zu schaffen. Da rief auch die „Kroatische Nationale Partei“ unter Ex-General Ivan Rukavina eine eigene Armee ins Leben, die nicht mehr auf das Kommando Tudjmans hören will, wie auch die „Kroatische Staatstragende Bewegung“, deren militanter Flügel auch den „bewaffneten Kampf“ gegen Serbien aufnahm.
Muslimanen, Makedonier und Albaner
In der Republik Bosnien „wimmelt“ es geradezu von bewaffneten Verbänden. In jener Republik, in der Serben, Kroaten und Muslimanen bunt zusammengewürfelt leben, haben fast alle genannten Gruppen bereits eigene „Verbände“ aufgebaut, hinzu kommen noch die monarchistische „Serbische Freiwilligenbewegung Karadjordjevic“, die serbische „Krajina-Kampftruppe“, die „Islamischen Kämpfer“ und „Muslimanischen Brüder“. Vor allem letztgenannte Gruppen agieren aus dem Untergrund heraus, dürften sich bei einem Ausbrechen des Krieges in Bosnien sofort offen formieren.
Auch die Bewaffnung der Albaner im Kosovo unterliegt strikter Geheimhaltung, doch lassen sich aus von serbischer Seite abgefangenen Waffentransporten Schlüsse über die militärischen Vorbereitungen dieser Bevölkerungsgruppe ziehen. In Makedonien, wo sich eine radikale Strömung der grössten Parlamentspartei, der „Makedonisch-Revolutionären Bewegung“ (VMRO) an die Terroraktionen ihrer Großeltern unter osmanischer Fremdherrschaft erinnert und den „Befreiungskampf“ gegen „Großserbien“ aufzunehmen gedenkt, sind die militärischen Vorbereitungen im Gange.
Brüche in Armee und kroatischer Nationalgarde
Doch selbst die „Jugoslawische Volksarmee“ tritt nicht mehr geschlossen auf. Ob alle Armeeeinheiten dem 16köpfigen „Kommandostab“ unter Vorsitz von General Adzic und Kadijevic Folge leisten, ist fraglich geworden. Seit wenigen Tagen sickerte durch, daß die „Bewegung für Jugoslawien“, die im letzten Dezember gegründete Kommunistische Partei des Militärs, mit der Führung nicht mehr zufrieden ist und selbst in der Armee aktiv werden will. Undiszipliniert verhielten sich die Militärs in dem serbisch dominierten Gebiet Krajina, die selbständig, ohne den Befehl von oben abzuwarten, schon im September auf die dalmatinische Küste zumarschierten. Andersgelagert ist der Fall Anton Tus. Noch im Juli Oberbefehlshaber der jugoslawischen Luftwaffe, weigerte er sich, Bomben auf die slowenische Hauptstadt Ljubljana abwerfen zu lassen. Tage später desertierte er wie inzwischen rund 10 Prozent des Offizierschorps auf Tudjmans Seite. Tus hat seitdem — streng geheimgehalten — als Chef des Generalstabes die kroatische Nationalgarde befehligt. Dies wurde erst dieser Tage bekannt, wie auch der Übertritt des ehemaligen Befehlshabers der Kriegsmarine, Admiral Grubisic, zu den Kroaten.
In Kroatien wiederum haben der ehemalige kroatische Verteidigungsminister Domljan und der Oberkommandierende der ostslawonischen Region Osijek, Branko Glavas, aus Unzufriedenheit mit Tudjmans „zu lascher“ Kampfführung eigene Privatarmeen ins Leben gerufen, die „radikaler“ gegen den „serbischen Terror“, wie sie sagen, vorgehen wollen.
Einen Friedensschluß zu schaffen ist mit dem Auftauchen dieser Armeen noch komplizierter geworden.
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