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Armut trotz Boom

■ Zum Treffen der internationalen Großfinanz wurden die Häuser der Slums hinterm neuen Kongreßzentrum von Soldaten frisch gestrichen.

Armut trotz Boom Zum Treffen der internationalen Großfinanz wurden die Häuser der Slums hinterm neuen Kongreßzentrum von Soldaten frisch gestrichen.

AUS BANGKOK SVEN HANSEN

Willkommen zur IWF/ Weltbank-Jahrestagung in Bangkok“, prangt es den Bänkern auf überdimensionalen gelben Schildern entgegen, wenn sie die Sonderabfertigung an Bangkoks Dong-Muang-Airport passiert haben und in den eigens für sie angeschafften Luxuslimousinen mit dem Emblem der Tagung auf dem Nummernschild ins Stadtzentrum gefahren werden. Die thailändische Regierung, die keine Kosten und Mühen gescheut hat, um den Herren der Großfinanz einen angenehmen Empfang zu bereiten, scheint sich damit für das Lob bedanken zu wollen, das sie kürzlich vom Internationalen Währungsfonds (IWF) bekam.

In seiner jüngsten Studie nennt der IWF Thailand „ein hervorragendes Beispiel erfolgreicher Entwicklung, die Anpassung mit Wachstum kombiniert“. Hierfür sei die „pragmatische Politik“ der letzten Jahre verantwortlich. Diese habe die ab 1986 einsetzenden günstigen internationalen Rahmenbedingungen ausgenutzt und zu einem Boom sondergleichen geführt (siehe Kasten). Der IWF führt das rasante Wachstum auf das „Bekenntnis zu einem marktwirtschaftlichen System mit Weltmarktorientierung, eine auf dem Privatsektor basierende Entwicklungsstrategie sowie eine Tradition vorsichtiger Finanzpolitik“ zurück. In der Zeit von 1986 bis 1990 ist es deshalb zu einem Exportboom in der verarbeitenden Industrie gekommen sowie einem Anstieg privater Investitionen, direkt ausgelöst durch eine Währungsabwertung und niedrige Steuern und Lohnkosten.

Als Schwachpunkte der Entwicklung räumt der Fonds Engpässe in der Infrastruktur ein, ein stark gestiegenes Zahlungsbilanzdefizit sowie die steigende Inflation. Außerdem müsse die Qualität des Wachstums verbessert werden, womit die IWF- Experten auf Umweltprobleme sowie die Einkommensverteilung anspielen. Insgesamt bleibt das vom IWF gezeichnete Bild der thailändischen Wirtschaft rundum positiv, die monierten Punkte werden so dargestellt, als seien sie bereits erfolgversprechend in Angriff genommen worden. Kritik an der thailändischen Regierung ist in der Studie nicht zu finden. Der Putsch vom Februar taucht lediglich als historisches Datum auf. Vertreter thailändischer Basisorganisationen zeichnen ein gänzlich anderes Bild von der Entwicklung ihres Landes. Dabei leugnen sie nicht das ökonomische Wachstum. „Es hat der Mehrheit der Bevölkerung aber nicht geholfen“, sagt Day Cha Siripatra, der bei Suphanburi, 100 Kilometer nordwestlich von Bangkok, landwirtschaftliche Projekte aufbaut. „Vor zehn Jahren betrug das Verhältnis zwischen den Einkommen aus Farmarbeit und denen aus anderer Arbeit 1:5, heute beträgt es 1:11. Die Bauern subventionieren durch die niedrigen Erzeugerpreise die Industrie und den Dienstleistungssektor“, kritisiert er.

Zwar ist der Wirtschaftsboom in Thailand ein hauptsächlich städtische Phänomen, der sich insbesondere in der Hauptstadt Bangkok zeigt, aber er hat auch in ländlichen Gegenden Spuren hinterlassen. In den letzten Jahren ist es zwischen Kleinbauern und Investoren, darunter viele aus dem Ausland, zu einem verschärften Kampf um natürliche Ressourcen und Land gekommen. Die Investoren hätten dabei die thailändische Regierung auf ihrer Seite, beklagt sich Day Cha. Die Entwicklung sei auf Kosten der Bauern verlaufen, die auch unter der verschärften Ausrichtung der Landwirtschaft auf den Export und den ökologischen Folgen zu leiden hätten.

Prostitution als Kehrseite des Wachstums

„Abwanderung in die Städte, Arbeitsmigration in den Mittleren Osten, das Abgleiten vieler Frauen in die Prostitution sowie der Heiratshandel sind die traurigen Begleiterscheinungen des wirtschaftlichen Wachstums in Thailand“, sagt Prawase Wasi, Vorsitzender der Stiftung für lokale Entwicklung. Seiner Meinung nach hat selbst die Mittelschicht, die er die „neuen Armen“ nennt, unter dem Wachstum zu leiden. „Angestellte von Regierungsbehörden und Lehrer, die früher in Bangkok ein kleines Haus kaufen konnten, können sich dies heute nicht mehr leisten.“ Die vielbeklagte Korruption sei so noch verstärkt worden.

Die Arbeitslosigkeit ist zwar niedrig (1990 offiziell 3,8 Prozent), aber die Löhne sind es auch, sagt Dej Poomkacha vom „Thai Volunteer Service“. „Die Zahl derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, ist von 13 Millionen 1983 auf 15 Millionen 1991 gestiegen. Wir haben somit Wachstum und Modernisierung ohne Entwicklung.“

Die Lohnpolitik der Regierung, die in der IWF-Studie gelobt wird, stößt bei Dej auf heftige Kritik: „Die Politik und Gesetze haben die Investoren gegenüber den Arbeitern und Angestellten bevorzugt.“ Zwar liegt der Mindestlohn im Großraum Bangkok seit Anfang des Jahres bei 100 Baht pro Tag (etwa 6,50 DM), aber mehr als 50 Prozent der Arbeitgeber würden diesen Lohn nicht zahlen, sagt Dej. Der Zustrom neuer Arbeitskräfte vom Land drückt die Löhne zusätzlich. Nach dem letzten Putsch wurde zudem die Gewerkschaft der Regierungsangestellten verboten. „Wir sind nicht gegen wirtschaftliches Wachstum“, sagt Prawase Wasi, „aber der Schwerpunkt sollte auf humaner Entwicklung liegen. Ein ganzheitlicher Ansatz ist nötig, ein gleichgewichtiges Wachstum, das die sozialen und ökologischen Faktoren gleichberechtigt miteinbezieht.“

Wenn die Vertreter der Banken nach der Fahrt vom Flughafen vor dem extra für sie erbauten 90 Millionen Dollar teuren „Nationalen Königin Sirikit Congress Centrum“ ihren Limousinen entsteigen und dabei zufällig einen Blick um sich werfen, dürften sie die Meinung des IWF bestätigt sehen. Während die anliegenden Slums umgesiedelt oder hinter frischgestrichenen Mauern versteckt wurden, sind allein vom Congress Centrum aus acht im Bau befindliche, repräsentative Hochhäuser zu sehen. „Es wäre toll, wenn die Regierung, die Enthusiasmus für die Jahrestagung gezeigt hat, das gleichen Engagement für die Armen aufgebracht hätte“, meint Prawase.

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