: Zurück in die Gegenwart
■ Galerie-Café Silberstern: Einst vertrieben, jetzt zurückgekehrt
Die Lehne aus grobem schwarzem Holz ragt wie eine Leiter unter die sechs Meter hohe Decke. An den Wänden hängen, von Halogenleuchten angestrahlt, abstrakte Gemälde. Schwere Marmorplatten werden von Eisen eingefaßt und bilden die wenigen Tische, um die sich zur Nacht Gesamtberliner aller Coleur im Galerie- Café Silberstern in der Oranienburger Straße scharen. Die grüne Kupferstatue, die ihren Kopf aus einem skelettierten Rumpf zu einem stummen Schrei in den Nacken legt, steht wie ein Symbol im Zentrum des Raumes, das Vergangenheit und Gegenwart ihres Eigentümers zu Geschichte gerinnen läßt.
Als die Nazis vor fast sechzig Jahren das pochende Herz der Weimarer Republik lahmlegten und die lärmende Metropole mit dem Filz des Totschweigens überzogen, packte der Jude Silberstern seine sieben Sachen und verschwand aus Deutschland. Die Faschisten hatten ihm, wie vielen seiner verfolgten Leidensgenossen rechtzeitig ein unmißverständliches Zeichen gesetzt, daß seine Anwesenheit zwar noch geduldet, doch nicht mehr erwünscht war. Bevor sie ihre Morddrohung an seinem Volk millionenfach in die Tat umsetzen sollten, enteigneten ihn die Handlanger des Terrorregime; sein Haus in der Oranienburger Straße wurde zwangsarisiert.
Auf seinen Weg in die lebensrettende Diaspora nahm Silberstern die Erinnerungen an die einst blühende Vielfalt der Zwanziger Jahre mit, als das Quartier zwischen Scheunenviertel und Friedrichstadt zum explosiven Schmelztiegel der Weltstadt geworden war. Glanz und Elend gaben sich hier die Hand, wo schillernde Kulturpaläste neben Amüsierlokalen und düsteren Arbeiterkneipen die Erfüllung der niedersten wie der edelsten Bedürfnisse versprachen.
In den nächsten Jahrzehnten sollte der Vertriebene nicht viel verpassen. Die Nationalsozialisten legten die Stadt in Schutt und Asche.
In der Oranienburger schafften es dann auch die Sozialisten, den letzten Rest von metropolitanischem Weltgeist, der in diesem Viertel einmal geherrscht hatte, endgültig zu vertreiben.
Erst mit der Rückübertragung seines Eigentums bekam Silberstern das Haus Nummer 27 im vergangenen Jahr zurück und eröffnete das Café. Wenn sich die Geschwindigkeit der Autos am Abend vor den Fenstern verlangsamt, weil die Prostituierten am Straßenstrich ihre Arbeit aufnehmen, füllt sich langsam der weitläufige Raum rund um die grüne Kupferskulptur und entfaltet eine Atmosphäre aus Stehparty, Vernissage und Rock-Kaffeehaus. Mit dem autonomen Kulturzentrum Tacheles und dem Rotlicht-Distrikt in unmittelbarer Nachbarschaft werden wieder Bedürfnisse befriedigt auf der Oranienburger, niedere wie edle. Doch am nächtlichen Horizont in Richtung Friedrichstraße ziehen Nadelstreifen auf. Investoren, die ein Auge auf die Bestlage der City werfen. Der junge Funke, der den für Jahre unterkühlten Brennpunkt wieder zu entflammen sucht, wird sich erst beweisen müssen. Stephan Wiehler
Galerie-Café Silberstern, Oranienburger Straße 27, Öffnungszeiten: di. bis so. 10 bis unendlich, montags ab 18 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen