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Verflixtes Heiligendasein

Rom (taz) — Geklaute und entmystifizierte „Santi“ bewegen zutiefst Italiens Seelen. Nach dem Scharlatansbeweis von San Gennaro in Neapel ist der Heilige Antonius von Padua futsch

Sie haben's derzeit wahrlich nicht leicht, Italiens über alles geliebte Wunderwirker und Touristenattraktionen. Wo immer man hinguckt, die Welt hat's einfach nimmer so mit ihnen, wie vordem, wo alles, was hinter Glasschreinen lag, Ehrfurcht erweckte und bewundernder Blicke sicher sein konnte.

Die Zeiten sind dahin, und nicht nur für die hehren Monumente künstlerischen Schaffens, wie Michelangelos Pietà, die es schon vor einigen Jahren mitten in der Petersbasilika traf, oder David in Florenz, dem vor drei Wochen zerstörerisch auf die Zehen geklopft wurde. Doch nicht nur Steinerne sind Ziele, sondern auch einst Lebendige. Am Donnerstag nachmittag rissen drei Bewaffnete die Knochenreste des Heiligen Antonius von Padua, Patron der Liebenden und Helfer gegen Unfruchtbarkeit, samt fünf Kilo schwerem Goldbehältnis aus dem Altar der Basilika und verschwanden spurlos.

Die Polizei erwartet nun eine Lösegeldforderung, wie das schon einige Male bei anderen kirchlichen Preziosenklauereien passiert war; insofern scheint der Schaden, Zahlungswilligkeit vorausgesetzt, behebbar. Nicht behebbar hingegen ist wohl, was tags zuvor einem anderen Heiligen passiert ist — jenem ausgerechnet, der wie kein anderer das Symbol für die Verbindung von Wundergläubigkeit, Folklore und auch Schlitzohrtigkeit darstellt: dem Heiligen Januarius in Neapel, San Gennaro. Ein regelrecht blasphemisches Doktorenteam aus just dem nun betroffenen Padua (was den Verdacht der Rache mindestens ebenso nahelegt wie die Erpressung) rückte dem Wunder zuleibe, das sich alle Jahre zweimal ereignet: die Verflüssigung des ansonsten normal geronnenen Blutes aus dem Leib des Heiligen. Die Wissenschaftler steckten dabei nicht einmal ihre Nase ins geheiligte Gefäß mit der Reliquie (daß da wirklich Blut drin ist, hat schon vor zwei Jahren ein anderer Gelehrter mittels Spektrometer bewiesen), sondern schlichtweg in alte Bücher der Alchimie — und was entdeckten sie? Daß die Quacksalber schon im Mittelalter Techniken beherrschten, geronnenes Blut mittels Vibrationen wieder zu verflüssigen; sie gaben dazu lediglich ein paar Essenzen ins Plasma, und das Wunder ließ sich beliebig wiederholen.

Natürlich springt die Kurie in Neapel nun im Quadrat: Man könne ja niemanden zwingen, an Wunder zu glauben, trompetete der Erzbischof, doch nun zu behaupten, daß das Ganze ein einfacher Trick, also Betrug sei, das gehöre nun doch schon in den Bereich der Lästerung. Und überhaupt möge ja sein, daß das mit dem Verflüssigen per Trick gelinge — die Frage sei dann aber, warum es sich ab und zu eben nicht verflüssige?

Die Wissenschaftler lächeln da nur weise. Natürlich müsse man das Blut in einer ganz bestimmten Weise schütteln, damit es gelinge — der Schüttler kann das also genau beeinflussen. So weit, so gut. Doch damit haben die Gelehrten ein neues Problem am Hals: Trick hin, Trick her — nicht zu leugnen ist, daß sich das Blut tatsächlich einige Male vor großen Katastrophen nicht verflüssigt hat; vor den Erdbeben 1980 und 1983 zum Beispiel, und auch, größtes aller Desaster, als Neapel 1988 im letzten Moment nicht Fußballmeister wurde, blieb der Lebenssaft geronnen, trotz Flehens von Maradona persönlich (im Jahr danach klappte es, da war auch das Blut wieder herumgeschwappt). Ist etwa nicht das Blut prophetisch, sondern der Blutschüttler mit dem zweiten Gesicht ausgestattet?

Es wäre für die Neapolitaner wohl auch kein Schaden; im Gegenteil. Wer hat schon ein derartiges Tandem vorzuweisen — entweder göttliches Blut im Schrein oder einen gottbegnadeten Seher unter sich? Werner Raith

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