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Violinen unterm Elektronenstrahl

Aspekte des ZDF-Musikprogramms  ■ Von Manfred Riepe

Der Dirigent hat die Hände erhoben, als wolle er das Orchester umarmen. Die Großaufnahme zeigt sein konzentriert-entrücktes Gesicht. Sein Taktstock zittert wie die Kontrollanzeige am Kassettenrekorder.

Träumerisch gleitet die Kamera über den goldblinkenden Stuck des Opernhauses. Und die japanische Solistin funkelt im symetrischen Muster der Geigenbögen wie ein exotisches Juwel.

Von Ausnahmen abgesehen (zum Beispiel die traditionelle Übertragung des Silvesterkonzertes) soll beim ZDF jetzt Schluß mit dieser Art von abgefilmten oder live übertragenen Konzerten sein. Angesagt ist die „gestaltete Musikdarbietung“. Sie soll dem Zuschauer E-Musik künftig in „fernsehspezifischen Formen“ nahebringen. Es hilft alles nichts. Klassische Musik ist und bleibt in Bezug aufs Fernsehen eine antagonistische Kunstform. Die Ambitionen der ZDF-Musikredaktion sind zwar ehrenhaft und nicht hoch genug einzuschätzen. Doch statt Perspektiven aufzuzeigen, machen sie eher das Problem erst richtig deutlich. Der Festcharakter einer symphonischen Darbietung wirkt auf 625 Zeilen sinnentleert und fremd. Da schafft auch das neue Medium HDTV mit seinen 1.125 Zeilen und einem 16:9-Breitwandformat nur bedingt Abhilfe.

Dolly und Chouchou (am 10. November) ist das vierte HDTV-Experiment der Mainzer mit dem „hochaufgelösten“ Fernsehen. In Thomas Mowreys Film spielen die virtuosen Pinanistinnen Katia und Marielle Labeque in doppelter Hinsicht. Neben der musikalischen Darbietung agieren sie noch als zwei Schwestern, die im Paris der Jahrhundertwende zwei berühmte Väter haben: die Komponisten Gabriel Fauré und Claude Debusy.

Der Film ist eine Mischung aus Dokumentation und musikalischer Meditation. Auf zirka zwei mal vier Meter hochgebeamt, wirkt Thomas Mowreys impressionistischer Bilderzauber trotz zuweilen störender, „Klassikclip“-artiger Schnittfolgen überaus beeindruckend.

War die herkömmliche „Glotze“ ein Blick auf ein kleines Fenster, so bietet HDTV den Schritt hinaus auf den Balkon. Die Präsenz und die Erlebnisstärke dieser neuen elektronischen Bilder könnte zusammen mit dem Hifi-Ton theoretisch schon die vielstimmige und sensible Atmosphäre symphonischer Darbietungen direkter vermitteln. Jedoch nur theoretisch, denn die nächsten zehn Jahre wird man hierzulande auf aufwendigen Sonderveranstaltungen in den Genuß dieser Bildgewalt kommen. An eine normale Ausstrahlung ist allerdings nicht zu denken.

So oder so werden wir also aufs „Konventionelle“ zurückgeworfen, doch da gibt es einige positive Überraschungen. Für die, die es mögen, wird Helmut Baumann das Musical Ein Käfig voller Narren auf deutsch inszenieren, und Bob Wilson wird mit Phil Glass eine zweistündige Fernsehfassung von Einstein on the Beach erstellen.

Bis auf das letzte Miles-Davis- Konzert, um das man als ambitionierte Musikredaktion nicht herumkommt, herrscht Klassikzwang. Über das mannigfaltige Spektrum zwischen symphonischer, Avantgarde- und Pop-Musik herrscht die gleiche Unkenntnis wie über das eigentliche Juwel im ZDF-Musikprogramm: In den eigenen „Zibig-Studios“ bebilderte der polnische Videokünstler Zbigniew Rybcynski mit sechs weltbekannten Musikern Stücke von Mozart, Chopin und Ravel.

Zbigniew Rybcynski ist der unbestrittene Meister der elektronischen Bildmanipulation, der in seinen Arbeiten stets eine optimale Synthese aus Technik und Ästhetik zustandebringt. Daß Rybcynski im „ZDF Presse Special“ lediglich mit dem lapidaren Attribut „eigenwillig“ angekündigt wurde, zeigt, daß es das eigentliche Neuland der fernsehspezifischen Musikdarbietung noch zu erschließen gilt.

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