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Keine Gnade für Curcio

Nach 17 Jahren Knast muß der Gründer der Roten Brigaden weitere 15 Jahre einsitzen/ Italienisches Verfassungsgericht lehnt Freilassung ab  ■ Aus Rom Werner Raith

Lange Zeit hatte es diesmal ausgesehen, als würde Renato Curcio, Gründer und Namensfinder der „Brigate rosse“, schon bald aus dem Gefängnis kommen; nun hat Italiens Verfassungsgericht, oberstes Entscheidungsorgan bei Kompetenzstreitigkeiten, den Fall für beendet erklärt — negativ für den Rotbrigadengründer. Das „definitive Nein“, das der sozialistische Justizminister Claudio Martelli vor vierzehn Tagen im Gegensatz zum erklärten Willen des christdemokratischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga verfügt hat, ist für die nächste Zeit das letzte Wort: Curcio bleibt im Knast.

Das Verfassungsgericht war von Martelli angerufen worden, nachdem Cossiga im August in öffentlichen Erklärungen die baldige Freilassung Curcios angekündigt hatte. Die Begründung, die der Justizminister für sein Nein gab, bestand im wesentlichen aus drei Punkten: Erstens seien noch nicht alle Verfahren gegen Curcio abgeschlossen, so daß man einen Gnadenerweis bei weiteren Verurteilungen wieder rückgängig machen müsse, zweitens habe der Mann sich „noch immer nicht glaubwürdig vom ,Bewaffneten Kampf' losgesagt“ und drittens — wohl der Hauptaspekt — sei die „Frage eines Gnadenerweises von der nichtkompetenten Stelle gestellt worden“. Diese nichtkompetente Stelle ist eben Italiens Staatspräsident. Der ist zwar derjenige, der den Gnadenerweis ausspricht; doch er tut dies „auf Antrag des Justizministers“, und der hat eben diesen Antrag nicht gestellt.

Das fiel ihm allerdings erst sehr spät ein. Seit Ostern nämlich hatte der Minister landauf, landab immer wieder von einem „Schlußstrich unter die bleiernen Jahre des Terrorismus“ gesprochen, Strafreduktion und frühzeitige Entlassungen inklusive. Das schien damals recht zugkräftig, weil weite Kreise Italiens, bis hin zur Kirche, schon seit längerem eine „riconciliazione“, eine Wiederversöhnung von Terroristen und Gesellschaft fordern. Zudem rühmt sich Martelli der Freundschaft von Kombattanten der außerparlamentarischen Opposition, die auf Gnadenerweise zumindest jenen gegenüber drängen, die — wie Curcio — keinerlei Bluttat begangen hatten.

Staatspräsident Cossiga, während der „bleiernen Jahre“ Innenminister und dann Ministerpräsident, kam so wohl zu der irrigen Meinung, Martelli werde einen Gnadenakt widerspruchslos akzeptieren. Die Freilassung Curcios schien ihm zudem als Weg, in der linken Mitte wieder Terrain zu gewinnen. Gleichzeitig hätte Cossiga damit auch seine Rolle als Hardliner während der Terroristenhatz und bei der Verabschiedung der unseligen „Kronzeugen“-Gesetze etwas abmildern können: Hunderte Unschuldiger wurden damals eingesperrt.

Zunächst schien nach der Ankündigung des Gnadenerweises auch alles relativ glatt zu laufen. Doch dann brachten Hinterbliebenen- und Opfer-Organisationen eine mächtige Kampagne gegen die Entlassung in Gang. Die war ihrerseits zwar durchaus verständlich: Curcio als Rotbrigadengründer symbolisiert für sie wie kein anderer ihr Leid aus jenen Jahren. Doch sie ließen den Kernpunkt von Cossigas Gnadenbegründung außer acht: Curcio war zu insgesamt fast dreißig Jahren verurteilt worden, ohne je geschossen zu haben, während Mehrfachkiller, die sich schnell gewendet, gestanden und ihre Genossen angeschwärzt hatten, nur zwei oder drei Jahre weggeschlossen wurden. „Equitá“, Gleichbehandlung, war denn auch das Hauptargument Cossigas.

Curcio seinerseits hat nie um Gnade gebeten — er verlangt lediglich die Anwendung international üblicher Rechtsvorstellungen, wonach Straftaten, die miteinander im Zusammenhang stehen, mit einer einzigen Gesamtstrafe zu ahnden und nicht Vergehen für Vergehen einzeln zu bestrafen sind. Danach hätte der Rotbrigadist allenfalls zehn Jahre einsitzen müssen — er brummt jedoch bereits 17 Jahren und hat weitere 15 vor sich, weil in Italien noch immer kumuliert wird.

Mitte August veröffentlichten italienische Zeitschriften eine Umfrage, wonach zwei Drittel der Italiener Curcio noch nicht in Freiheit sehen möchten. Das wiederum hat wohl Justizchef Martelli zu seiner Kehrtwende veranlaßt — wo es Wähler zu gewinnen gibt, sind Italiens Sozialisten schon immer zu halsbrecherischen Manövern bereit. Und gewählt wird schließlich spätestens Mitte nächsten Jahres. So lange wird Curcio warten müssen, ehe sein Fall wieder diskutiert werden kann.

Staatspräsident Cossiga hat inzwischen erklärt, er beuge sich Martellis Verdikt — „doch der Minister hat unrecht“. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts war insofern vor allem eine formale Bestätigung, daß der Konflikt der Kompetenzen beigelegt worden ist.

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