: Was wird aus der Bremer Methadon-Politik?
■ Bundesweite Richtlinien viel enger als Bremer Praxis / Vera Rüdiger: „Die Menschen dürfen nicht zu Schaden kommen“
Seit dem 1. Oktober gelten bundesweit für ÄrztInnen und Kassen neue Richtlinien für die Methadon-Vergabe an Heroinabhängige. Bremen wird seine bisherige Praxis und ihre Finanzierung anpassen müssen. Ein taz-Gespräch mit Gesundheitssenatorin Vera Rüdiger am vergangenem Donnerstag, ihrem vorletzten Amtstag.
taz: Bundesweit gibt es jetzt einen Kriterienkatalog für Methadon auf Krankenschein. Für viele Bundesländer mag dies das Aufstoßen einer Tür bedeuten, für Bremen sind die Vergabemöglichkeiten (Indikationen) enger gefaßt als die bisherige Praxis.
Dr. Vera Rüdiger: Das trifft zu. Bundesweit geht es mit der Substituierung dort voran, wo bisher nichts oder wenig geschehen ist. Für Bremen ist es insofern eine Verbesserung, als nun auch die Kassen ganz bestimmte Leistungen tragen werden, die sie bisher nicht übernommen haben. In den „Richtlinien zur Einführung neuer Untersuchungs-und Behandlungsmethoden“ (NUB) ist vereinbart, was von den Kassen getragen wird. Welcher Teil der bisherigen bremischen Praxis unter diese unbestrittenen Indikationen fällt, muß jetzt auf Landesebene zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und den Kassen geklärt werden. Diese Gespräche laufen bereits.
Drogensüchtige gelten nicht als Kranke
Was sind die brisanten Punkte?
Ganz problematisch ist schon die Präambel: daß die Sucht selbst nicht als Krankheit anerkannt ist. Das kann ich nicht nachvollziehen. Das wird in Amsterdam, Zürich, USA ganz anders gesehen. Und das hat Folgen.
Nach den NUB-Richtlinien darf es Methadon geben für Abhängige in lebensbedrohlichen Zuständen, bei stationärer Behandlung, die einen Entzug unzumutbar macht, bei Schwangerschaft, Geburt, oder bei manifest ausgebrochener Aids-Erkrankung. Das alles ist unstrittig. Was aber wird aus den „nur“ HIV-Infizierten? Aus denen, die nicht schon todkrank sind?
Die Überbrückungs-Indikation müßte nicht nur stationär, sondern auch ambulant gelten. Das halte ich für möglich. Was aber bedeutet es, Methadon auch bei 'vergleichbar schweren Erkrankungen' geben zu dürfen? Das können doch nicht nur somatische sein, sondern auch psychiatrische. Im übrigen sind die Verhandlungspartner auch bereit, den Begriff der 'schweren konsumierenden', also stark fortschreitenden Erkrankung weit zu fassen.
Eine neue Hürde!
Bisher wurden Ärzte gesucht und geworben, die zur Vergabe bereit sind. Künftig brauchen vergabewillige Ärzte eine Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV).
Eine neue administrative Hürde!
Auch ein Arzt mit Genehmigung darf erst dann substituieren, wenn die KV das ausdrücklich genehmigt hat. Und dies setzt die Empfehlung einer Kommission voraus. Das ist aber eine andere Kommission als die bisher bremische...
Ja. Wir haben eine rein fachliche Kommission, die die Mediziner berät, aber ihnen die Entscheidung überläßt. Darin sind für KV und Ärztekammer ambulant und stationär arbeitende Ärzte, die Behörde und zwei in der Drogenarbeit erfahrene Nichtmediziner. Die neu vorgeschriebene Kommission aber wird von der KV eingerichtet und ist auch bei ihr angesiedelt, „zur Beratung der KV bei der Erteilung von Genehmigungen“ und Zustimmung für Substitution. Und: die Kassen sind als Leistungsträger dabei! Unsere Kommission war rein fachlich, jetzt gibt es eine Vermischung mit der Kostenträgerschaft. Das hat Herr Vilmar gegenüber der Bundesgesundheitsministerin zu Recht kritisiert.
In Bremen gibt es rund 300 Substituierte, etwa die Hälfte sind durch die Kommission gegangen. Bei enger Interpretation der Bundes- Richtlinien fehlt für sie jetzt die Rechts-Grundlage?
„Für die Restfinanzierung muß es Haushaltsmittel geben!“
Keine der an den Verhandlungen beteiligten Seiten ist daran interessiert, die Entscheidungen, die bis jetzt getroffen sind, neu aufzurollen. Gerade jetzt, zeitgleich, gibt es Gespräche zwischen Behörde, Krankenkassen und KV: Was von der bisherigen Praxis fällt unter die unstrittigen Indikationen, was ist mit den HIV-Infizierten? Mit Altfixern? Sind das schon Kommissionsfälle?
Und in der Zwischenzeit?
Unsere behandelnden Ärzte melden ihre Patienten, soweit sie versichert sind, bereits jetzt zur Kostenübernahme bei der KV an. Sollte ein Teil, der jetzt bereits in der Substitution ist, von den Kostenträgern nicht akzeptiert werden, muß er durch finanzielles Engagement Bremens erhalten bleiben: Dann muß es dafür Haushaltsmittel geben.
Ist die Forderung Sonder-Finanzierung für die liberale Bremer Praxis nicht allzu optimistisch?
Ich bin sicher und dankbar, daß der Schulterschluß mit Ärztekammer und KV und die breite Übereinstimmung in der Deputation tragen wird. Natürlich ist nicht alles nur auf Substitution zurückzuführen — weshalb hätten wir sonst die anderen Anstrengungen gemacht um die Ambulanz, den Prostituierten-Bus, den Spritzentausch?
Aber: In allen Drogenzentren — und Bremen ist nicht das einzige! — steigt die Zahl der Drogentoten, mal wird Verdoppelung, mal 30% mehr gemeldet. Bei uns gab es bis Ende September 1990 in Bremen 71 Tote, in 91 aber 59. Immer noch zuviel! Aber: Andere haben eine Verdoppelung! Das Bündel an Bemühungen, auch die Substitution, muß etwas damit zu tun haben.
Die Richtlinien kennen nur „manifest ausgebrochene Aids-Erkrankung“. Sie hoffen, die HIV- Fälle mit in die Kassenfinanzierung hineinzubekommen. Ist das nicht unzulässig optimistisch?
Die Richtlinien sind bundesweit diskutiert auch von Menschen, die nicht an Methadonvergabe ranwollten. Hier in Bremen aber diskutieren Menschen, die unsere Vereinbarung selbst erarbeitet, mit Leben erfüllt haben, die die Erfahrungen auswerten!
Kein Zugangsstop für Junkies
Verfahren Sie in der Übergangszeit nach dem alten Modus? Oder gibt es einen Zugangsstop?
Nein! Gestern hat die Kommission noch getagt! Es darf nicht sein, daß Menschen zu Schaden kommen, weil wir Richtlinien umstellen müssen.
Wann wird es Klarheit geben?
Die Verhandlungen laufen und werden in wenigen Wochen abgeschlossen sein.
Fragen: Susanne Paas
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