piwik no script img

Trend zur Zweitwohnung im Grünen

■ Immer mehr Berliner wollen am Wochenende der Hauptstadt entfliehen/ Ehemalige Kombinatsdatschen werden jetzt von Yuppies bewohnt/ Die Wochenendhäuser im Umland sind mittlerweile knapp

Umland. Der Trend geht zur Zweitwohnung. Wer nicht zu den 300.000 gehört, die nach Aussage des Berliner Mietervereins schon in Berlin keine passende Wohnung finden, hat häufig den Wunsch nach einem netten Wochenendhaus im grünen Berliner Umland. Seit dem Mauerfall drängt es immer mehr Großstädter an Sonn- und Feiertagen an die Seen oder in die Wälder Brandenburgs, um dem Lärm und Gestank der City zu entfliehen — aber dann am liebsten in die eigenen vier Wände einer Laube.

Vor einem Jahr bekam ein 31jähriger Jungunternehmer aus dem Wedding einen heißen Tip: Wochenendhaus am Neuruppiner See zu vermieten. Bei 400 Mark Miete im Monat für eine komplett eingerichtete Datsche, 30 Quadratmeter, fließendes Wasser und Elektroheizung konnte er zusammen mit seiner Freundin nicht Nein sagen. Jetzt geht's an den Wochenenden immer mit dem Citroän in ihre Datsche. Das fehlende Telefon sieht der Yuppie eher als Vorteil.

Sein Nachbar am See kommt ebenfalls aus West-Berlin. Der leitende Angestellte einer großen Westberliner Firma hat neben seiner Datsche sein Segelboot liegen. In DDR- Zeiten war ein solches Haus ein Privileg derjenigen, die vom Kombinat in den Urlaub geschickt wurden. Und die besondere Atmosphäre der vergangenen Zeit ist bis heute nicht verflogen — auch wenn die Datschen nicht in Plattenbauweise errichtet wurden. Statt einer Kanalisation führt das Klo-Rohr in die Sickergrube, Normalsterbliche hält meist ein Schild »Privatgelände — Betreten verboten« vom Uferspaziergang ab, und die Autos, die in den engen Straßenzufahrten parken, lassen die Pfützen ölschimmernd werden.

Der Berliner Mieterverein sieht dem Trend ins Berliner Umland mit gemischten Gefühlen zu. Geschäftsführer Hartmann Vetter will die Zersiedlung des Berliner Umlandes für dringend notwendigen Wohnraum verhindern. Andererseits hat Vetter auch Verständnis, wenn Berliner dem grauen Himmel über der Hauptstadt entfliehen wollen.

Streit um die knappen Lauben gibt es auch schon. Die ersten Räumungsaufforderungen sind bei seinen Mitgliedern eingegangen — die Vermieter wollten die alteingesessenen Ostberliner vertreiben und durch zahlungskräftigere Westler ersetzen. Die Rechtslage ist jedoch kompliziert: Mieterschutz gibt es nicht, je nach Vertragsform sind die Wochenendhäuser wie Gewerberaum anzusehen. Mehr Sicherheit gibt es nur in den Laubenkolonien, wo der Vereinsvorstand dem Besitzerwechsel zustimmen muß.

Landwirte wollen ihre Felder zurück

Die Nachfrage nach Datschen ist in den letzten Monaten immer weiter angestiegen — und wer jetzt noch sucht, hat wenig Chancen. »Keinerlei Reaktion« haben fünf Musiker auf ihre Kleinanzeige erhalten, in der sie ein Wochenendhaus als Proberaum suchten. 15 Briefe an Stadtverwaltungen im Berliner Umland hat ein Westberliner Pärchen geschrieben — doch helfen konnte ihnen keiner. Nach den Sommerferien haben sie sich ein Boot zugelegt und suchen jetzt einen Anlegeplatz. Am Sonntag wollen sie nun rausfahren, um Zettel mit »Suche Wochenendhaus« an die Straßenbäume zu hängen. Zur Not würde ihnen auch ein unbebautes Wassergrundstück reichen: Die Laube würden sie dann schon selbst errichten.

Berlins Immobilienfürst Willi Bendzko hat bisher nur wenige Wochenendhäuser vermitteln können. Meist stehen die Datschen auf Pachtland, das die DDR gewöhnlich ohne großen Aufwand in Besitz nahm. Die enteigneten Landwirte versuchen jetzt, ihre inzwischen bebauten Felder zurückzubekommen. Erst in drei bis fünf Jahren, schätzt Bendzko, dürfte hier die Eigentumsfrage geklärt sein.

Anders sieht es bei kompletten Häusern aus. Die Nachfrage nach Villen und Bungalows rund um Berlin boomt, diese sind aber selbst für die reichen Westberliner (Durchschnittsgehalt der Angestellten etwa 4.500 Mark) meist zu teuer. Im Landkreis Bernau hatte sich schon mal ein Unternehmensberater umgeschaut: Reihenhäuser in billiger Holz-Stahl-Bauweise wollte er im großen Stil errichten. Doch der Landrat lehnte dankend ab. Rochus Görgen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen