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Jagdszenen in Moskau

■ Montagsreportage: Gnadenlos, 20.30 Uhr, West3

Speznas“ ist das regierungsamtliche Kürzel für eine schlagkräftige sowjetische Sondertruppe, die ehedem in geheimer Mission vorwiegend im Ausland — u.a. in Afghanistan — operierte und nun von der Moskauer Polizei im Kampf gegen die organisierte Kriminalität eingesetzt wird. Im Zeichen von Glasnost erhielten zwei Reporter nun erstmals Gelegenheit, die 70 unerschrockenen Kämpfer bei ihren Einsätzen zu begleiten. Herausgekommen ist eine Reportage, die sich zwar mit dem Lorbeer des „Sensationellen“ und mit „bisher nie gesehenen Bilder“ schmücken kann, über weite Strecken aber einem plumpen Sensationsjournalismus huldigt. Da werden Mietskasernen gestürmt, Dealer hochgenommen und professionelle Einbrecher gestellt. Und da sie es mit skrupellosen Elementen zu tun haben, sind die martialisch dreinblickenden Männer von Speznaz bei ihrer Arbeit nicht zimperlich. Unblutig geht eine Festnahme bei ihnen selten vonstatten. Die Kamera der Reporter ist immer „live“ dabei, beobachtet das Geschehen nicht aus der Distanz, sondern hält drauf auf die geschundenen Körper. Und wenn sie in den Keller der Pathologie hinabsteigt, um anhand von übelst zugerichteten Leichen von Verbrechensopfern die Brutalität der sowjetischen Mafia zu demonstrieren, darf natürlich auch die klassische Phrase des Sensationsjournalismus nicht fehlen: „Allzu zartbesaitete Zuschauer bitte wegschauen!“ Gewiß, da gewähren zwischendurch Gespräche mit den Speznaz-Leuten manchen Einblick in die groteske Rückständigkeit sowjetischer Kriminaltechnologie, doch bleiben solche Momente inmitten all der turbulenten Action-Szenen die Ausnahme. Über die Hintergründe der sprunghaft angestiegenen Kriminalität vermittelt die Reportage so gut wie nichts, und der Kommentar klingt bisweilen schon, als sei er einem Werbespot für die unerschrockene Eingreiftruppe entnommen: „Wenn Speznaz kommt, wird aufgeräumt“, „...eine endlose Herausforderung für Speznaz“ etc.

Doch dem WDR war der Sensationswert dieser Produktion der französischen Sigma TV offensichtlich Grund genug für einen Ankauf. Da dem Film einige Minuten fehlten, um exakt ins Programmschema der Montagsreportage zu passen, schnitt der Kölner Sender aus dem von den Franzosen verwerteten Material noch ein paar Szenen zusammen und „bereichert“ diese reißerische Reportage nun auch noch um ein paar unverhohlen voyeuristische Bilder von aufgegriffenen Prostituierten, die durch Speznaz einer Leibesvisitation unterzogen werden. Reinhard Lüke

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