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INTERVIEWPDS muß Stellung zum Stasi-Vorwurf beziehen

■ Harald Wolf, ehemaliger AL-Politiker und Mitglied der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus, fordert von seiner Fraktion Klarheit beim Stasi-Vorwurf gegen Dirk Schneider und wirft der AL vor, sie verdrehe ihre eigene Geschichte

taz: Sie haben mit Dirk Schneider lange Jahre politisch eng zusammengearbeitet und redeten bislang dennoch so, als wäre er eine völlig fremde Person. Welche Gefühle bewegen Sie nach der Enttarnung Dirk Schneiders?

Harald Wolf: Das ist sehr schwer zu beantworten und nicht innerhalb einer Woche zu verarbeiten. Rückwirkend stellen sich viele Fragen, was Realität gewesen ist, ob bestimmte Ereignisse, Diskussionen, Gespräche und Auseinandersetzungen nicht einen ganz anderen Hintergrund hatten. Die Zusammenarbeit mit Geheimdiensten ist ein Vertrauensbruch. Gleichzeitig habe ich zehn Jahre einer politischen und persönlichen Bekanntschaft, die nicht einfach weg ist. Dies miteinander in Einklang zu bringen ist ein ganz schwieriger persönlicher Prozeß für mich.

Ist mit Schneiders Entlarvung auch Ihre eigene Politik in der AL diskreditiert?

Nein. Ich habe meine eigenen politischen Überzeugungen vertreten, und die waren in einer ganzen Reihe von Punkten nicht identisch mit Dirk Schneider. Wir stimmten überein in der Frage der Zweistaatlichkeit, aber hatten Differenzen in der Frage der Kontakte mit der SED-Führung und der DDR-Opposition.

Ich habe den Eindruck, daß sich in der AL einige einen Bärendienst erweisen. Da wird — wie bei Bernd Köppl — die Deutschlandpolitik der AL letztendlich zu einer Konspiration der Stasi erklärt. Das aber geht völlig am Problem vorbei. Die politischen Positionen von Schneider sind von ihm in der politischen Auseinandersetzung immer offen vertreten worden. Die AL war immer autonom genug, ihre eigenen politischen Entscheidungen zu treffen. Für diese Entscheidungen muß die AL schon selbst die Verantwortung übernehmen und nicht jetzt als Einflußnahme von außen umdefinieren.

Was Köppl formuliert, ist also eine Verdrehung der Geschichte?

Ich sehe eine große Gefahr, daß jetzt die notwendige politische Aufarbeitung verbunden wird mit alten fraktionellen Interessen in der AL. Durch diese Angelegenheit werden alle Strömungen in der AL betroffen. Deswegen muß man es gemeinsam aufarbeiten. Die Probleme einer MfS- Einflußnahme liegen bei der Frage, welche Informationen über Kontakte mit Oppositionellen weitergegeben wurden oder welche politischen Debatten zu welchem Zeitpunkt stattgefunden haben und ob da eine Einflußnahme existiert hat. Dazu gehört nicht die Debatte über die Zweistaatlichkeit, nicht die Debatte über das Verhältnis und Kontakte zur Opposition und der DDR-Führung. Das stand wirklich der politischen Auseinandersetzung und Mehrheitsbildung in der AL offen.

In der PDS-Fraktion gab es eine magere 6-zu- 5-Mehrheit für die Abgabe des Mandats von Dirk Schneider. Heute trifft sich die Fraktion erneut. Was muß dabei passieren?

Dieses Abstimmungsergebnis halte ich für politisch schlimm — zumal es nur eine relative Mehrheit war: denn es gab auch drei Enthaltungen. Das zeigt, daß die abstrakte Einsicht, was Stasi- und andere geheimdienstliche Tätigkeit bedeutet, im konkreten Fall von vielen Leuten nicht durchgehalten wird. Jetzt muß geklärt werden, wie ein solches Ergebnis zustande kommen konnte. Die PDS muß außerdem der AL alle Unterstützung geben, beispielsweise über das Archiv des Zentralkomitees der SED alle Informationen zur Verfügung stellen, die sich auf die AL beziehen.

Wie lange bleiben Sie noch in der Fraktion?

Einer Mehrheit gegen die Mandatsabgabe wären Konsequenzen gefolgt. Ansonsten werden die Ergebnisse des kommenden Landesparteitags und des Bundesparteitags Anlaß für eine Gesamtbilanz sein. Interview: Gerd Nowakowski

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