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Mystischer Sandkasten

Klimkes Aufstieg ins Frankfurter Theater am Turm  ■ Von Arnd Wesemann

Neue Dichter sitzen nicht trostlos auf dem Chaiselongue, verfassen keine Fünfzeiler, sie darben nicht, sie gründen keinen Selbstverlag, sie hoffen nicht auf fünfzehn zahlende Leser. Neue Dichter inszenieren ihre Dichtung. Neue Dichter lassen sich von alten Dichtern loben. Neue Dichter haben Bühnenbildner, neue Dichter werden von Schauspielern aufgesagt. Neue Dichter machen's richtig. Statt zur Buchmesse sanglos zu Buch und Papier zu werden, sind sie drei Tage lang ganz und gar präsent.

Donnerstag als Regisseur der Dichtung. Freitag als Autor eines opulenten Bildbandes für 98 Mark, Samstag steht er Rede und Antwort: der Christoph Klimke, mit dem Förderpreis des Landes Nordrhein- Westfalen geehrt, von Pina Bauschs Dramaturgen und 'Zeit‘-Autor Raimund Hoghe gelobt, von Günther Kunert mit Vorschlußlorbeeren ausgezeichnet — so nimmt der Dichter seinen Weg.

Der Rowohlt-Autor, Übersetzer und Erzähler Christoph Klimke (32) hat kein Herz für's Theater entdeckt — das Theater gleichwohl ist ihm der brauchbar ruhigste Ort seiner Poesie. Mit seiner Dichtung Die siamesischen Zwillinge betreibt er konzentrierte Mystik und Selbstgespräche. Das Theater ist der Aufzug, der seine Worte bequem und schnell befördert. Die Protagonisten seinerSiamesischen Zwillinge heißen fahrstuhlgerecht Aufzu und Reinraus. Die hat er, nach der Uraufführung in Dortmund, auf der Probebühne des Frankfurter TAT nun selbst inszeniert: in einer Person, mit Andreas Seifert als irrlichternden Jungschauspieler und halb heruntergelassenem Hintern.

Klimkes Dichtung ist mystisch, symbolisch. Jedwede Gründsätze sind über Bord. Klimke erreicht umweglos die Urelemente Feuer, Wasser, Luft und Erde. Dazu passend steht Seifert im brennenden Bildrahmen (Feuer), planscht von Anbeginn in einem mit Wasser gefüllten Kanal, dann in einer Badewanne unter Bühnenregen (Wasser), japsend und quiekend (Luft), immer von sich selbst erschüttert, monomanisch (so bringt er den Text von uns fort, transportiert ihn ganz in das Dunkel des Mystischen). Wälzt sich in roter Erde, erzeugt mit seinem Körper einen Abdruck auf einem Leintuch, das er auf einen Rahmen spannt: Christi Leichentuch (auf Altarkerzen wurde verzichtet). Seifert schleppt schwer an sich wie an einem Kreuz.

Bernhard Kleber, zuletzt Bühnenbildner bei Leander Haußmanns Grazer Inszenierung von Angelas Kleider kann toben, toben, toben. Die Bühne ist rappelvoll und bietet alle Möglichkeiten eines Sandkastens, geeignet, überall Spuren der erledigten Rede zu hinterlassen. Nebel steigt auf, ein Echo hallt, ein Thron klappt auf und zu, ein Bilderrahmen führt von hinten nach vorne. So darf auch Andreas Seifert toben, toben, toben. Über den Text weit hinaus soll er winseln, heulen, wackeln, plantschen, beliebig tun, alle Register ziehen — und damit kein Register, da nichts in eine Kohärenz, eine Komposition, einen wichtigen Konsens eingeht.

Klimke erlaubt jedem alles. Sein Text, so gewichtig er im Religiösen poltert, so unbestimmt entläßt er jeden Beteiligten (auch den Zuschauer) in ein Tut-und-denkt-was- ihr-wollt. Seifert kann schreien, dies ist mein Körper, hernach schluchzen, hernach — symbolisch — den Körper rasieren: es bewegt nicht, es beunruhigt nicht. Nur: daß Könner am Werk sind, allesamt eigentliche Könner, Klimke wie Kleber wie vielleicht auch Seifert. Aber nichts hält sie beieinander. Sandkastenjungs, die sich mit einem Riesenspaß die Burgen gegenseitig einreißen und die Förmchen einander übers Haupt schütten. Wortschwere in Bedeutungsleere — ein Stündchen lang.

Christoph Klimke: Die siamesischen Zwillinge, Regie: Christoph Klimke, Bühne: Bernhard Kleber. Mit Andreas Seifert. TAT Probebühne Frankfurt/Main. Nächste Aufführungen: 17. bis 19. und 24. bis 26.Oktober.

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