Bruderkampf in Thailand

Mit dem Putsch vom Februar wollte das thailändische Militär sich „in letzter Minute“ vor der Verdrängung ins Abseits retten/ Ein neues Wahlsystem soll den Militärs den Zugriff auf ihre Pfründe garantieren  ■ AUS BANGKOK THOMAS BONK

In Thailand macht es den PolitikerInnen und BankerInnen aus Übersee, die dieser Tage zu tausenden zur Weltbank- und zur IWF-Tagung nach Bangkok kommen, nicht leicht. Wer sich nicht nur für „das größte Bordell Asiens“, sondern für die Politik des IWF- Gastgebers interessiert, wird von der Lektüre der beiden englischsprachigen Zeitungen Bangkoks verwirrt: Da hatten die Militärs doch in friedlicher Eintracht in einer schnellen, präzisen und erfolgreichen Aktion am 23. Februar 1991 geputscht und eine Junta mit dem schönen Namen „National Peace-Keeping Council“ an die Macht gebracht. Und nun beherrschen Streits pensionierter und aktiver Generäle untereinander die innenpolitischen Schlagzeilen von 'Bangkok Post‘ und 'Nation‘. Zivile und uniformierte Militärs formieren sich für eine Wahl, deren Modalitäten erst noch in einer neuen Verfassung bestimmt werden müssen und die bislang nur vage für April 1992 angekündigt ist.

Für Thailand gilt der englische Ausdruck „play politics“ im weiteren Sinn. Zur Zeit wird das Stück Bruderkampf gegeben. In den Hauptrollen: der „ältere Bruder“ Chavalit Yongehaiyudh, Armeechef a.D., und dessen Zögling Suchinda Kraprayun, nun der starke Mann der Junta. In den Nebenrollen: Kaset Rojananil, Luftwaffenchef, und Premierminister Anand Panyarachun als die graue Eminenz. Als prominenter Statist, wie Sean Connery im neuen Robin Hood, taucht Ex-Premier Chatichai Choonhavan ab und zu aus seinem selbstgewählten Londoner Exil in Bangkok auf, um sich gegen den Vorwurf, durch Geschenkschecks aus der Industrie „ungewöhnlich reich“ geworden zu sein, zu verteidigen.

An die Spielregeln gehalten

Chavalit hatte sich an die Spielregeln thailändischer Politik gehalten: Als Oberbefehlshaber setzte er sich mit dem Programm „Green Isan“ zur Wiederaufforstung des armen Nordosten schon zu Lebzeiten ein Denkmal aus tausenden von Eukalyptusbäumen. Mit Erreichen der Altersgrenze von 60 Jahren schied er dann aus der Armee aus. Seinen Posten übernahm der von ihm protegierte, vier Jahre jüngere Suchinda. Nunmehr Zivilist, widmete sich Chavalit der Politik. Er kritisierte den damaligen Premierminister Chatichai wegen dessen militärfeindlicher Politik so scharf, daß dieser sich genötigt sah, den General a.D. 1990 als seinen Stellvertreter ins Kabinett zu berufen. Nach zwei Monaten schied Chavalit im Zorn wieder aus der Regierung aus und gründete seine eigene Partei, die New Aspiration Party (NAP).

Suchinda wählte den direkten Weg zu Macht: Als ausländische Botschafter Anfang 1991 nach Hause berichteten, in Thailand sei nun wohl die Zeit der Staatsstreiche vorbei, brachten Suchinda und seine Kameraden des fünften Jahrgangs der Königlichen Chulachomklao Militärakademie das — schon mehr als ein dutzendmal gedrehte — Karussell von Putsch, neuer Verfassung, Wahlen, neuer Regierung und nächstem Putsch wieder in Schwung.

Der Putsch vom Februar sollte nach Ansicht der Zeitungskommentatoren die von Chatichai systematisch betriebene Demontage des Militärs in letzter Minute stoppen.

Ohne ein klares eigenes politisches Programm und um Ansehen im Ausland bemüht, beriefen die Militärs Technokraten in die Regierung, allen voran den ehemaligen Diplomaten und Wirtschaftsboß Anand. Der Premier hat sich mit einer eigenständigen, bei überzogenen Budgetforderungen auch gegen die Militärs gerichteten Politik Ansehen verschafft. Mit Haushaltsrestriktionen hat sich Anand auch die Kritik von Luftwaffenchef Kaset zugezogen. Der fordert bereits den Rücktritt des Kabinetts, falls die neue Verfassung in der meist von Militärs besetzten gesetzgebenden Versammlung durchfalle. Gestritten wird um das System der Listenwahl, wodurch sich Kaset für seine neue „Union der Gerechten“ (Samakkhitham) Vorteile bzw. Direktmandate verspricht, und um die Zulassung von Kandidaten nur an ihrem Wohnort, was Chavalit aus dem von ihm als Hochburg angesehenen Isan vertriebe.

Kritik an der Regierung gibt es auch an der Basis. So machte sich Anand bei einigen Bauern in der Chao-Phraya-Flußschleife, die der Premier zur „grünen Lunge Bangkoks“ machen will, unbeliebt. Tausende protestieren seit Tagen gegen den Plan, nicht zuletzt aus Angst vor skrupellosen Praktiken bei Umsiedlung und Landzuteilung.

Teures Dinner beim Premier

SozialkritikerInnen werfen Anand vor, die Interessen der Wirtschaft und der Metropole über die Belange der Armen und Bauern zu stellen. Der Premier lade zwar SlumbewohnerInnen zum Essen ein, die müßten sich dann aber erst für teures Geld Schuhe und Kleidung kaufen oder leihen, um überhaupt in die Residenz eingelassen zu werden, heißt es. Zudem setze Anand meist nur Initiativen der vorherigen Chatichai-Regierung um. Dennoch: Bei den jüngsten Meinungsumfragen rangierte Anand in der Sympathie der Bevölkerung auf Platz zwei, zwar hinter dem Gouverneur von Bangkok, aber weit vor Chavalit und Suchinda.

Einen „thailändischen Teufelskreis“ nennt Chavalit die ständige Wiederholung von Putsch und Rückkehr zur Demokratie. Er will sich nun daran machen, diesen Kreis zu durchbrechen. Chavalit unternahm dazu einen ungewöhnlichen Schritt: Er traf sich mit früheren Anführern der blutigen Studentenunruhen vom 14.Oktober 1973, die in den Rücktritt des damaligen Premierministers Thanom Kittikachorn gemündet hatten und Ausgangspunkt für die thailändische „Halb-Demokratie“, wie es Chulalongkorn-Professorin Pasuk Phongpaichit nennt (siehe Interview), gewesen waren.

Angesichts der Weltbank/IWF- Tagung, die einen Tag nach dem denkwürdigen Demokratie-Jahrestag beginnt, erschien das Treffen des Ex-Generals mit den Ex-StudentInnen der amtierenden Militärjunta als Provokation. Suchinda erwog zunächst ein Demonstrationsverbot, kündige dann aber ein hartes Durchgreifen gegen Störenfriede an: Wie beim Schach greife er „nicht die Bauern an, sondern Könige und Offiziere“, erklärte der Armeechef — ohne Namen zu nennen.

Als ersten traf es den früheren Parlamentarier Jaturon Kotchasri. Nachdem der NAP-Politiker das Militär beschuldigt hatte, Bestechungsgelder und Provision bei Waffenkäufen zu kassieren, wurde er verhaftet, dann auf Kaution freigelassen. Wegen der Affäre hat Chavalit eine Auslandsreise abgebrochen. Nun will er das Gespräch mit Suchinda suchen. Schließlich ist Harmonie in Thailand oberstes Gebot.