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Nun droht auch Krieg in Bosnien

■ Den Beschluß über die Souveränität Bosniens trafen die Parlamentsabgeordneten ohne die Vertreter der serbischen Regierungspartei SDS. Diese hatten zuvor die Sitzung aus Protest geschlossen verlassen...

Nun droht auch Krieg in Bosnien Den Beschluß über die Souveränität Bosniens trafen die Parlamentsabgeordneten ohne die Vertreter der serbischen Regierungspartei SDS. Diese hatten zuvor die Sitzung aus Protest geschlossen verlassen. Damit droht nun auch Bosnien-Herzegowina der offene Konflikt.

Jetzt auch Bosnien-Herzegowina. Gestern folgte das Parlament der zentraljugoslawischen Republik dem Beipiel Sloweniens, Kroatiens und Makedoniens und erklärte nach einer 15stündigen Marathonsitzung die Souveränität der Republik — allerdings mit einem bedeutenden Schönheitsfehler: Die De-Facto-Unabhängigkeit wurde nur mit den Stimmen der Muslimanenpartei der „Demokratischen Aktion“ (SDA) und der „Kroatischen Demokratischen Union“ (HDZ) verabschiedet. Der Koalitionspartner „Serbische Demokratische Partei“ (SDS) verließ vor der entscheidenden Abstimmung um drei Uhr früh geschlossen den Sitzungssaal. Die Partei unter ihrem Führer Radovan Karadzic ist streng nach Belgrad hin ausgerichtet und soll Gerüchten zufolge gute Beziehungen zur Bundesarmee unterhalten. Einen Vorgeschmack auf die Auseinandersetzungen, die nun auf Bosnien zukommen könnten, gab Karadzic vor seinem Auszug aus dem Parlament: „Wenn Bosnien tatsächlich dem Beispiel Sloweniens und Kroatiens folgt, dann kommt es zum Krieg. Ich appelliere an alle Parlamentarier, überlegt, was ihr entscheidet.“

Schon mehrmals schwappten die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Kroaten, Serben und der Bundesarmee in den letzten Wochen auf bosnisches Territorium über und erklärten sich Ende September fünf Serbenenklaven für unabhängig. Das offizielle Sarajewo erklärte diese Schritte schon damals für illegal und beteuerte auch gestern wieder, man werde keinen Zentimeter bosnischen Territoriums an eine andere Republik abtreten. Über alles andere könne man verhandeln, so der muslimanische Präsident Alija Izetbegovic — Worte, die an die Starrköpfigkeit kroatischer Politiker erinnern, die sich immer mehr der „gewaltsamen Landnahme“ serbischer Freischärler und der Bundesarmee gegenübersehen, die heute bereits über ein Drittel kroatischen Bodens kontrollieren.

Wird ein ähnliches Szenario nun auch schreckliche Realität in Bosnien, jener Republik, in der Jugoslawien am jugoslawischsten ist, mehr Völker und Volksgruppen bunt zusammengewürfelt leben als irgendwo sonst im zusammenbrechenden Vielvölkerstaat? 47 Prozent der Einwohner bekannten sich bei der letzten Volkszählung als Muslimanen, 32 Prozent als Serben und 18 als Kroaten. Doch in kaum einer Kommune stellt eine der drei Völker die zahlenmäßige Mehrheit.

Schon lange bevor in Kroatien der Krieg ausbrach, machte man sich in Sarajewo Gedanken darüber, wie es mit der Zukunft Bosniens bestellt sein könnte. „Ist Bosnien der Schlüssel zur Lösung oder die Geisel im jugoslawischen Nationalitätenkonflikt?“ Damals meinte der Verfassungsrechtler Stranko Grego: „Wer immer in Jugoslawien souveräne Staaten errichten wird, der wird sich auch Teile Bosniens nehmen. Weder der kroatische Präsident Tudjman noch sein serbischer Amtskollege Milosevic werden es zulassen, daß bei der Schaffung ihrer Nationalstaaten große Bevölkerungsteile der kroatischen beziehungsweise serbischen Bevölkerung aus diesen ausgeschlossen bleiben. Deshalb werden sie Bosnien aufteilen.“ Und auch Jugoslawiens Stardissident Milovan Djilas, einst Tito-Stellvertreter und zur Stalin-Zeit Vizepräsident des Balkanstaates, erkannte damals: „Der größte Konflikt steht Jugoslawien noch bevor. Es ist der Kampf um Bosnien, wo sich alle Gegensätze konzentrieren. Dies wird die wahre, tiefe Krise sein, von der die Existenz Jugoslawiens abhängen wird.“

Wer in den letzten Tagen die Diskussionen in den bosnischen Medien verfolgte, bemerkte schnell, daß die Ausrufung der staatlichen Souveränität als „Selbstschutz“ gedacht ist. Da man täglich mit einer „Besetzung“ Bosniens durch Bundestruppen rechne und kriegerische Kampfhandlungen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen immer wahrscheinlicher werden, wolle man, so die Tageszeitung 'Oslobodjenje‘, in letzter Minute mit der Ausrufung der Unabhängigkeit die „Republik Bosnien“ international ins Gespräch bringen.

Um einer „Einverleibung“ großserbischer Kreise zuvorzukommen, versuchen die Muslimanen nun eine politische Koalition mit den Kroaten. Doch nicht alle Kroaten lassen das Selbstbestimmungsrecht der Muslimanen gelten. Für sie sind die „bosnischen Moslems“ nichts anderes als islamisierte Kroaten, wie für das offizielle Belgrad die meisten Muslimanen nichts anderes als „islamisierte Serben“ darstellen. Auch mit der Unabhängigkeitserklärung Bosniens sitzt das Volk der Muslimanen zwischen allen Stühlen und ist die Gefahr, zwischen Kroatien und Serbien aufgerieben zu werden, längst nicht gebannt. Roland Hofwiler

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