: Kohls Museum müßte dem Kanzler weichen
■ Senatsplaner Wuthe schlägt Gelände des Deutschen Historischen Museums als Platz für das Kanzleramt vor/ Bonner Umzugsplaner lassen Details der Hauptstadtplanung offen/ Berliner Experten machen jetzt eigene Vorschläge
Berlin. Wenn sich Bundeskanzler Helmut Kohl vom Bonner Bundeskanzleramt zum Plenarsaal des Bundestages im Wasserwerk am Rheinufer in Bewegung setzt, hat er sein Ziel zu Fuß in etwa fünf Minuten erreicht. Dies, so Kohl, sollte den Planern ein Vorbild sein, die zur Zeit für Berlin ein neues Regierungsviertel entwerfen. »Fußläufig« sollte die Entfernung zwischen Kanzleramt und Bundestagsgebäude zu überbrücken sein.
Das sei »gar nicht so schwierig«, antwortet jetzt Karl-Heinz Wuthe, Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Warum sollte der Neubau für das Kanzleramt nicht an der Stelle entstehen, auf der Kohl den Berlinern ursprünglich das Deutsche Historische Museum errichten lassen wollte? Ein Kanzleramt an dieser Stelle wäre nicht nur leicht zu überschauen und abzusperren und deshalb aus Sicherheitsgründen gut geeignet.
Auf dem großen Areal schräg gegenüber dem Reichstag, zwischen Kongreßhalle, Spree und Moltkestraße wäre zudem noch »Platz für einen Garten, in dem Kohl mit Gorbatschow spazieren gehen könnte«, regte der Stadtplaner im Gespräch mit der taz an. Auf den Grundstücken hinter dem Reichstag in Richtung Pariser Platz hingegen — sie sind ebenfalls als Kanzleramtsstandort im Gespräch — könnte es »leicht eng« werden.
Daß die Berliner Senatsexperten sich mittlerweile nicht mehr scheuen, von sich aus solche respektlosen Vorschläge zu machen, ist wohl auch die Schuld der Bundesregierung. Der Bericht des Bonner Arbeitsstabes Bonn/Berlin, den Staatssekretär Franz Kroppenstedt gestern dem Bundeskabinett vorlegte, läßt erneut das vermissen, worauf auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen schon lange wartet: Bonn solle »in nicht allzuferner Zeit definieren«, in welchem Umfang und mit wie vielen Beamten die Bonner Ministerien umzuziehen gedenken. Berlin, so kürzlich Diepgens Mahnung, könne »nicht vernünftig planen, wenn es nicht weiß, ob 4.000, 8.000 oder 10.000 Bundesbedienstete hier zusätzlich arbeiten und wohnen werden«. »Zügig« müsse der Bund jetzt »festlegen«, »was er wo bauen will« und »welche Gebäude zur Zwischennutzung vorgesehen werden«.
All diese Fragen ließ der gestern vorgestellte Kroppenstedt-Bericht offen. Erneut präsentierte der Staatssekretär lediglich verschiedene Modelle einer Aufteilung oder Auftrennung der Ministerien zwischen Bonn und Berlin. Entscheiden müßten jetzt die Politiker. Der Senat hatte den Bonnern bereits am Dienstag ein großzügiges Angebot gemacht. Auf insgesamt 220 Hektar in zwei »städtebaulichen Entwicklungsbereichen« könne zwischen Bund und Senat »Grundstück für Grundstück« geklärt werden, welche Bauten für Bundestag und Regierung genutzt werden sollten. Der größere der beiden Bereiche, die Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) vorstellte, hat die Form einer etwas geknickten Banane. Vom Schloß Bellevue im Westen erstreckt er sich rund um Reichstag und Spreebogen bis hinunter zur heutigen Treuhandanstalt im Süden.
Als zweites Regierungsviertel bieten die Berliner den Marx-Engels-Platz an. Rings herum stehen heute der Palast der Republik, das Gebäude des DDR-Außenministeriums, das ehemalige Staatsratsgebäude und das ZK-Gebäude am Werderschen Markt. Der Boulevard Unter den Linden und der Pariser Platz sollen zwar nicht — wie von Nagel ursprünglich gewünscht — aus den Hauptstadtplänen völlig ausgespart werden.
Trotzdem will der Senat hier auf einer »urbanen Mischung« bestehen, die nicht von Beamtensilos dominiert werden dürfe. Am Pariser Platz will — wie berichtet — auch Kempinski ein Hotel bauen. Franzosen, Briten und Amerikaner denken an Neubauten für ihre Botschaften, die schon vor dem letzten Krieg hier standen.
Für das Areal zwischen Bellevue und Treuhand wollen Bund und Berlin bereits Anfang nächsten Jahres einen städtebaulichen Wettbewerb ausschreiben. Was jetzt fast schon feststeht: Im Moabiter Werder nördlich der Spree und auf beiden Seiten der Spree werden Wohnungen und wahrscheinlich Nebengebäude des Bundestages entstehen. Die Kongreßhalle sollte — zumindest nach Meinung der Senatsstadtentwicklungsverwaltung — weiterhin als »Haus der Kulturen der Welt« dienen. Für den Bundesrat ließe sich dann ein Neubau direkt östlich der Kongreßhalle vorstellen. Vorteil: Er stünde dem Reichstag direkt gegenüber.
»Präsidentendreieck« ist ausbaufähig
Der Bundespräsident hat jetzt schon mit dem Schloß Bellevue einen repräsentativen Dienstsitz in Berlin. Richard von Weizsäcker hatte das Schloß kürzlich zwar als für das Präsidialamt »nicht geeignet« und zu klein kritisiert, die Berliner Planer glauben diese Bedenken jedoch zerstreuen zu können. Platz für Anbauten gebe es beispielsweise direkt gegenüber am nördlichen Spreeufer. Dieses Grundstück, wegen seiner Form »Präsidentendreieck« genannt, dient heute als Parkplatz. Während die Gegend rund um den Reichstag Parlament, Kanzler, Präsident und Bundesrat vorbehalten werden könnte, wäre der Marx-Engels-Platz für diverse Ministerien geeignet.
Das Auswärtige Amt etwa könnte nach dem von Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer geforderten Abriß des DDR-Außenministeriums an dessen Stelle neu entstehen. Auch viele weitere existierende Gebäude, wie das Staatsratsgebäude am Marx- Engels-Platz, ließen sich auf den angrenzenden Grundstücken ohne Schwierigkeiten erweitern und wichtigen Ministerien Platz bieten, meint Wuthe. Das ZK-Gebäude, das früher der Reichsbank gehörte, wäre durchaus geeignet für das Finanzministerium. Nach einem Abriß des Palastes der Republik wäre dies auch ein potentieller Ort für das Kanzleramt. Nur von Kohl wird der Platz bisher noch verschmäht, weil der Kanzler kurze Fußwege zum Parlament höher schätzt als die Nähe zum Außenminister.
Doch was macht ein hoher Staatsgast, der nach seinem Besuch im Schloß Bellevue beim Bundespräsidenten anschließend auch dem Außenminister Guten Tag sagen will? Die Autofahrt, die dann unvermeidlich wäre, sollte durch das Brandenburger Tor führen, meint Wuthe. »Es wäre ein Jammer, wenn man das nicht täte.« Unterwegs könnten die hohen Besucher einen Blick auf ein interessantes Zeugnis deutscher Geschichte werfen. Der Grundstein des Deutschen Historischen Museums, den Kohl und Diepgen leichtfertigerweise schon 1987 in den Boden des Grundstücks am Spreebogen senkten, dieser Grundstein müßte versetzt werden, wenn auf dem Museumserwartungsland statt dessen ein Kanzleramt gebaut werden sollte. Man sollte diesen Grundstein herausnehmen und ausstellen, meint Wuthe: Am jetzt noch als Provisorium gedachten Sitz des Geschichtsmuseums im Zeughaus Unter den Linden. hmt
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