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Macht als Umweg zum Selbst

Jessica Benjamins „Fesseln der Liebe“  ■ Von Margarete Groschupf

Die amerikanische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin hat einen Bogen gespannt um alles, worum feministische Theorie und ihre Praxis als Therapie und als Kunst sich in den letzten Jahren drehte. Die Fesseln der Liebe klingt als Buchtitel noch romantisch, handelt jedoch von der Zerreißprobe im Frauenleben schlechthin, von der Spannung zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und nach Geborgenheit. Hat sich nicht jede Kunstausstellung über weibliche Erotik den sadomasochistischen Scheinvergnügungen zugewendet in diesen etwas verzweifelten Zeiten? Jessica Benjamin sieht den Masochismus der Frau als resignativen Kontrapunkt der Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen gesellschaftlicher Rationalität und subjektiver Emotionalität. Der Masochismus ist das Ende eines Weges der Vereinzelung, wo noch Bindung besteht, doch die Balance zugunsten des Zwanges gekippt ist. Dies zu verstehen, analysiert sie die Geschichte derO, fächert die Diskussion um den Ödipus-Komplex auf und beschreibt schließlich eine Perspektive, wie sich Frauen und Männer mit „gegenseitiger Anerkennung“ als Schlüsselbegriff der Versöhnung begegnen könnten.

Am Anfang war die Mutter, eine westliche Kulturmutter, die in ihrer aufopfernden Fürsorge Töchtern wie Söhnen Vorbild an Identitätsschwäche ist. Die Söhne jedoch orientieren sich schließlich am Vater, das ist der Zielpunkt des Ödipus-Alters, auch wenn sie dabei schmerzhaft von der Mutter Abschied nehmen müssen und vielleicht immer in dieser Nichtidentifizierung von Frauen getrennt bleiben werden. Die Töchter haben es scheinbar leichter, sie brauchen sich von der Mutter nicht zu trennen; diese wird sich gerade in ihnen selbst wiederfinden. Gelingt die Ablösung von der Mutter den Töchtern nicht, ist keine Identifikation mit dem Vater möglich, so bleibt die Tochter in einem ohnmächtigen Taumel der Hilflosigkeit stecken, in einer Bedürftigkeit nach Macht, zu der sie in sich selbst keine Wurzeln gefunden hat. Macht bleibt dann als Fiktion, Vision, Idealisierung an das männliche Alter ego geknüpft, und es kommt zu chronisch- symbiotischen Beziehungsbildungen. Das Kind muß sich also in jedem Fall von der Mutter abtrennen, die Mutter verlassen. Und es kommt wiederum auf die Mutter an, ob sie's aushält, ob sie die Wutanfälle und Abgrenzungsattacken ihres Kindes übersteht, ob sie selbst unabhängiger Mensch genug ist. Natürlich ist eine selbständige Identität der Mutter Voraussetzung. Damit ist auch eine Antwort auf die Frage nach dem Schaden oder Nutzen von mütterlicher Berufstätigkeit gegeben, falls jemand noch fragt. Oh doch, es gibt diese Fragen, es gibt diese Einwände, ob nicht Kindergartenerziehung verheerende Folgen haben würde... „Das Selbstgefühl des Mädchens steht im Zeichen der Erkenntnis, daß die Macht der Mutter aus ihrer Selbstaufopferung entspringt“, sagt Benjamin für den konservativen Regelfall. Ohne eine gelungene Ablösung von der Mutter komme es zu einer „Disposition zu willfähriger Unterordnung“. Masochismus sei Identifizierung mit der sich selbst aufopfernden Mutter, eine Kopie der mütterlichen Haltung überhaupt.

Sigmund Freud und Helene Deutsch fanden bekanntlich — analog zum weiblichen Erwachsenwerden der Frau mit dem Ziel, Mutter zu sein — passive Sexualität für Frauen normal, das Reifeziel. Die Folgen dieser Definition weiblicher Sexualität finden sich in jedem Vergewaltigungsprozeß, die „legitime“ Aggressivität des Phallus ist wissenschaftlich fundiert worden vor hundert Jahren. Und die Frauen neiden, leiden und neiden... Penisneid ist das, was Freud kleinen Mädchen mit seiner Theorie der Kastrationswunde, des schreckhaft entdeckten Mangels, unterstellt. Den Penis zu empfangen sei später ein Ausweg, die Aufhebung des Defizits für einen Moment. Den Minderwertigkeitskomplex mag das Mädchen von der Mutter gelernt haben, im Ödipus- Konflikt jedoch, so Benjamin, tauche der Penis höchstens als Symbol auf für Aktion im Außen, Tatkraft und Individuation. Der Neid gelte nicht dem Phallus, sondern dem Vater, dessen Freiheit — und auf dem Wege zur Identifikation mit dem Vater steht und fällt dieser Unterschied.

Heikel: es kommt nach Benjamin auf den Vater an — ob er an den Aktionsbestrebungen der Tochter Anteil nimmt oder sie „verführen“ will, sie nur in ihrer (zukünftigen) Attraktivität erlebt. Wenn sich die Tochter mit dem Vater identifizieren kann, wird sie ihre eigene Aktivität bejahen können; gelingt dies nicht, wird sich der Wunsch nach Unterordnung einstellen. Die Frau bleibt dann auf der Suche nach identifikatorischer Liebe, der Mann wird zum Stellvertreter für ihre Selbsttätigkeit. Aus der unerfüllbaren Sehnsucht wird die Bereitschaft zur Selbsterniedrigung, in der Heldenverehrung (nichts ausschließlich Weibliches!) abstrahiert die Frau von ihrer eigenen Kraft. Aus der idealisierten Vaterfigur wird der „heroische Sadist“ im wirklichen Leben, die abgespaltene Autorität.

Und die Mutter? „Die Spaltung bedeutet, daß das Kind, um Subjekt zu sein, die Rolle der Mutter, die weibliche Identität überhaupt, zurückweisen muß.“ Die klassische verschlingende Mutter bleibt immer noch die Fußangel im emotional dominierten Familienbund. Die Lösung wäre gewiß, daß auch die Mutter das Kind in die Außenwelt einführen könne, vormacht, daß Weiblichkeit auch Rationalität bedeutet. Als „das verlorene Ideal der Mütterlichkeit“ diskutiert Benjamin eine kommende Gegenwart: nicht, daß aus der „vaterlosen Gesellschaft“ (A.Mitscherlich) nun auch die „mutterlose Gesellschaft“ würde — das sei eine Angstphobie konservativer wie auch feministischer TheoretikerInnen, die eine Mythologisierung der Mutterschaft erneut betreiben. Es gehe tatsächlich darum, daß auch die Öffentlichkeit selbst fürsorglich, mütterlich werde: „Erst der Mangel an Unterstützung und Verantwortung im öffentlichen Leben erzeugt unerträgliche Ängste, einer herzlosen Rationalität auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.“

Die wirklichen Mütter könnten so aus der Traumburg entlassen werden, in die sie verherrlichend und doch als gesellschaftliche Außenseiterinnen gesteckt werden. Ihre Subjektivität, unvollkommen wie sie sein darf, ist das Schlüsselkapital einer insgesamt gesünderen Gesellschaft. Die Mutter darf und soll gehaßt werden! Wie geht das an, was heißt das? „Auf sozialer Ebene sabotiert männliche Rationalität die Anerkennung der Mutter, während auf psychischer Ebene die ödipale Ablehnung der Mutter diese in ein entwürdigtes und ein idealisiertes Objekt aufspaltet.“ Die Heilige und die Hure kennen wir seit langem als Doppelseiten derselben Medaille — Idealisierung ist eine Abwehrform von Aggressivität, sagt Benjamin. Verleugnung von Abhängigkeit schließlich ist eine Grundlage des bürgerlichen Ideals individueller Freiheit, wie Marcuse zeigte, eines negativen Freiheitsideals: nämlich nur dem Schutz vor der kontrollierenden Einmischung anderer. Die Vereinzelung, die diese Freiheit birgt, kennen wir zur Genüge. „Der innere Kern der Bedürftigkeit (die noch immer als infantil erachtet wird, da der autonome Erwachsene nichts und niemand brauchen sollte) darf niemals ,draußen‘ in der Öffentlichkeit gezeigt werden, sonst gilt er als Schwäche. ... Das Ideal autonomer Individualität, mit seiner Betonung von Rationalität, Selbständigkeit, Leistung und Wettbewerb, droht die Mutter so gänzlich zu negieren, daß niemand mehr dasein wird, zu dem wir heimkehren könnten.“

Die Fesseln der Liebe ist ein komplexes, theoretisches, in seiner analytischen Form gründlich durchwebtes Buch, das kein psychologischer Ratgeber ist, sondern eine Erklärungsleistung von großer Brillanz.

Jessica Benjamin: Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Deutsch von Nils Lundquist und Diana Müller, Stroemfeld/Roter Stern, 350 Seiten, 38DM

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