: Aids als Risiko für die Weltwirtschaft
Thai-Minister zur Hochfinanz: „Vorsorge bringt 17fachen Gewinn auf die Investition in das Leben“ ■ Aus Bangkok Thomas Bonk
„Wir müssen Aids an alles dranhängen“, sagt der Minister als Schlußwort und zieht aus seiner Jackentasche ein paar Handvoll Schlüsselanhänger mit Kondomen, „World Bank survival kits“. In Thailand ist der Anti-Aids-Aktivist schlicht unter dem Namen „Mr.Condom“ bekannt, einem Restaurant hat er zu dem Namen „Kohl und Kondome“ verholfen: Mechai Viravaidhya ist Minister für ungewöhnliche Angelegenheiten in der von Militärs eingesetzten Technokratenregierung Thailands. Die Perle am Golf von Siam ist für viele Männer aus Japan, Amerika und Europa einfach „das größte Bordell Asiens“ — mit der Folge, daß bis zum Jahr 2000 möglicherweise bis zu vier Millionen Thais infiziert sein werden.
Ein außerordentliches Forum hatten sich Mechai und der Aids-Spezialist der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Michael Merson, zur Verbeitung ihrer Forderungen nach mehr und besseren Anti-Aids-Kampagnen gewählt: Die Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Bangkok. Während die „big shots“ hinter verschlossenen Türen über Dollarkurs, Zinsen und Geld für die Sowjets debattieren, machten Mechai und Merson in der nüchternen Sprache von Bankern und Buchhaltern klar, daß Aids nicht nur eine Gefahr für die Menschheit, sondern schon viel früher ein Risiko für die Weltwirtschaft sei: Wenn jährlich Hunderttausende junger Menschen im produktivsten Alter an Aids sterben, „werden die Länder, die heute um Kredite nachfragen, kaum noch ihre Schulden zurück zahlen können“, drohte Mechai den Bankern an.
Daß Aids inzwischen das Problem der armen Länder sei, verdeutlichte Merson mit neuen Zahlen zur Aids- Verbreitung: Von den weltweit zehn Millionen geschätzten HIV-Infizierten lebt nur jeder siebte in Nordamerika oder Europa, 8,5 Millionen leben in der „Dritten Welt“. Den dortigen Regierungen müsse endlich klar werden, daß Aids nicht mehr das Problem von Risikogruppen oder Sextouristen sei. Die gleichmäßige Verteilung von HIV-Infektionen bei Männern und Frauen zeige für Afrika und Asien die primär heterosexuelle Verbreitung der tödlichen Immunschwächekrankheit. Aids werde in erster Linie durch die Sexpraktiken, Promiskuität und mangelnde Benutzung von Kondomen übertragen.
Die Thais dürften nicht länger „einfach die Schuld auf andere abschieben“, erklärte Mechai, forderte aber zugleich kategorisch ein Ende der „Kamikazeflüge der Sextouristen“. Jeder zehnte von jährlich etwa sechs Millionen Touristen, den größten Devisenbringern Thailands, sei Sexurlauber. Nach staatlichen Angaben gibt es in Thailand etwa 100.000 Prostituierte, Aktionsgruppen schätzen diese Zahl jedoch um ein Vielfaches höher. Die Nachfrage nach immer jüngeren, vermeintlich HIV- freien Prostituierten will die Regierung mit einem Gesetz abblocken, das Sex mit Frauen unter 18 Jahren verbietet.
Für Thailand, wie Indien eine der Hochburgen von Prostitution und Aids-Infektionen, rechnete der Minister mit Aids-Folgekosten von 15 Milliarden DM über die nächsten zehn Jahre. Neben der Vergeudung von Ausbildung und Arbeitskraft setzte Mechai für sein Szenario Kosten einer einfachen Pflege von 1.700 DM pro Jahr an — die Hälfte eines durchschnittlichen Familieneinkommens und das 50fache der jetzigen Ausgaben für Gesundheitsvorsorge. „Wenn nichts passiert, wird in Thailand Aids im Jahr 2000 die häufigste Todesursache“, sagte Mechai.
„Aber wir stehen nicht hilflos da“, machte der Minister den Bankern und Journalisten im 170 Milliarden DM teuren nagelneuen Kongreßzentrum von Bangkok Hoffnung. Die gleiche Summe gibt Thailands Regierung alljährlich für Anti- Aids-Kampagnen aus: Aufklärung in den Schulen, in allen Minsiterien und Behörden. Ebensoviel Geld investiere auch die Privatwirtschaft. „Die haben erkannt, daß sonst in ein paar Jahren niemand mehr ihre Produkte kaufen kann“, erklärte Mechai die Motivation von Banken und Ölkonzernen, Anti-Aids-Flugblätter neben den Kassenschalter zu legen und halbstündliche Werbespots für die Benutzung von Kondomen zu finanzieren.
Thailands Aids-Kampagnen könnten ein Modell für andere Länder sein. „Um brutal ehrlich zu sein: Nichts in den Entwicklungsländern ist bisher rechtzeitig oder ausreichend unternommen worden, um die Ausbreitung der Epidemie zu verlangsamen“, klagte Mechai die Politiker und Entwicklungshilfeexperten an. Dabei seien „Ausgaben für Vorsorgekampagnen eine der attraktivsten Investitionen“. Würden sich in Thailand die Sexualpraktiken ändern, so daß Sex mit verschiedenen Partnern halbiert, die Benutzung von Kondomen verdoppelt und traditionelle Sexualkrankheiten beseitigt würden, dann gäbe es im Königreich in neun Jahren 3,5 Millionen weniger HIV-Infektionen, und es könnten neun Milliarden DM gespart werden.
„Vorsorge erzielt einen 17fachen Gewinn auf die Investitionen in das Leben“, rechnete der Minister den Bankern vor. Für die Weltbank-Tagung verzichtete Mechai allerdings auf eine Aufklärungskampagne. „Die müssen schon wissen, was sie tun.“ Die Schlüsselanhänger waren rasch vergriffen.
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