: „Wir wollen nur unsere Ruhe haben!“
Asylsuchende in Ostwestfalen haben Angst vor neuen Anschlägen/ Auch vor Solidaritätsdemonstrationen fürchten sich die Flüchtlinge/ „Das ist auch gefährlich für uns“/ Zwischen den DemonstrantInnen und den Flüchtlingen herrscht Funkstille ■ Aus Herford Bettina Markmeyer
An Schlaf ist nicht zu denken. Frauen, Kinder und nach Mitternacht auch die jungen Männer haben sich zurückgezogen. Sechs ältere Männer halten Wache: drei an der einen, drei an der anderen Tür. Seit dem Anschlag vor zwei Wochen hängt ein Wachplan in dem aus längsgestellten Containern gebildeten Flur. Quer dazu die Blechkisten, in denen sich die albanischen Familien einrichten müssen; etwa zehn Quadratmeter: ein Fenster, ein Schrank, ein Fernseher, ein flacher Tisch und Matratzen am Boden.
Ibrahim Hisas* Blicke kontrollieren, während er redet, ständig das Fenster schräg hinter ihm. Vor diesem Fenster explodierte in der Nacht zum ersten Oktober ein Molotowcocktail und setzte den kurzgeschorenen Rasen in Brand. Mit anderen Männern rannte Hisa hinaus und löschte das Feuer mit Decken und Teppichen, bevor es auf die Container übergreifen konnte. Sie sahen einen Mann weglaufen, der, um nicht erkannt zu werden, blitzschnell einen roten Schirm aufgespannt hatte. Daß seitdem ein Polizeiwagen nachts regelmäßig Streife fährt, ist den Flüchtlingen eine Beruhigung. „Aber alle hier“, beklagt Hisa, „haben jetzt Angst.“
Seit dem Brandsatz gegen ihre Unterkunft und mit den Nachrichten von immer neuen Anschlägen leben die Kosovo-AlbanerInnen im ostwestfälischen Herford unter den Vorzeichen ständiger Bedrohung. „Bis wir diese Bilder gesehen haben“, sagt Afrim Nuli, „fühlten wir uns hier sicher.“ Zwar sei das Leben mit Frau und sechs Kindern in der Container-Behausung nicht eben einfach, nerve ihn das Arbeitsverbot und die am 25. November auslaufende Duldung, doch habe er lieber hier „mit ganz wenig Geld und in Ruhe“ gelebt, als in ständiger Angst vor dem serbischen Terror im Kosova. „Wohin sollen wir denn noch gehen?“ fragt Ibrahim Hisa und blickt wieder zum Fenster. Und Afrim Nuli sagt wütend: „Ich bin 33. Ich will neu anfangen. In Kosovo werden wir totgeschlagen. Wir wollen nicht kämpfen. Wir wollen auch hier nicht kämpfen mit diesen Faschisten. Wir haben diesen Brand gelöscht. Der Rest ist Sache der Polizei.“ Beschwörend wiederholt er immer wieder: „Wir wollen hier unsere Ruhe haben, nur unsere Ruhe!“ — An diesem Wochenende sind alle besonders nervös. „Morgen“, meint Nuli düster und kneift seine müden Augen zusammen, „gibt es eine Demonstration. Das ist gefährlich.“ Anna Schneider, eine Deutsche und die einzige, die seit dem Anschlag jede Nacht bei den albanischen Familien in Herford bleibt, hat wohl schon hundertmal erklärt, daß die DemonstrantInnen keine Gefahr darstellten, weil sie für die Flüchtlinge auf die Straße gingen. Allein, Hisa, Nuli und die anderen glauben ihr nicht. Auf der Kundgebung am nächsten Tag wird ein Redner die menschenunwürdige „Käfighaltung“ von AsylbewerberInnen in Übergangsheimen anprangern. Aber innerhalb des „Käfigs“ gehen die albanischen Jugendlichen am Vorabend der Demo nochmal die Zäune rund um die beiden Container-Blocks ab, froh, daß sie wegen eines angrenzenden Sportplatzes wenigstens teilweise so hoch sind, daß niemand Brandsätze hinüberwerfen kann.
Am nächsten Morgen muß Afrim Nuli den DemonstrantInnen klarmachen, daß sie von den Unterkünften wegbleiben sollen. So haben es die Männer beschlossen. Die Frauen halten sich im Hintergrund und setzen die wegen des ständigen Kommens und Gehens von etwa 60 Menschen endlose Wischerei der Flure fort. Die Kinder und Jugendlichen stehen am Zaun und schauen in die Richtung, aus der der Demonstrationszug kommen soll. „Punker“, hat der 12jährige Muhedin aus dem deutschen Fernsehen gelernt, „schlagen, haben ganz kurze Haare und trinken Bier.“ Er kann sie von rechten Skins nicht unterscheiden, er fürchtet sich vor beiden. Und er hat auch schon gelernt, daß eine Demo — und sei sie auch für ihn — gefährlich sein kann, weil er als Asylsuchender um seine Herkunft und seine derzeitige Adresse möglichst wenig Aufhebens machen soll: „Denn sonst kommen sie und schlagen uns.“ Muhedin lacht, als er das sagt, als könne er es doch nicht recht glauben.
Afrim Nuli ist erleichtert, daß ein Polizist mit ihm im Streifenwagen den DemonstrantInnen entgegenfährt, die nun mit dem Spruchband „Die antifaschistische Selbsthilfe organisieren“ um eine Straßenecke biegen. Nach einigem Hin und Her hat sich herumgesprochen, daß sie nicht weitergehen sollen. Nuli soll selbst etwas dazu ins Mikrophon sagen. Er weicht zurück, zögert. „Niemals“, hatte er am Abend zuvor bei Tee und Bier erzählt, „bin ich als Albaner in Kosova freiwillig in eine Demonstration oder in eine Menschenmenge gegangen. Immer hatte man Angst, daß man da nicht lebend wieder herauskommt“.
Dann faßt er sich ans Herz und sagt: „Bitte, kommen Sie nicht zu uns. Unsere Frauen und Kinder haben Angst. Wir wollen hier nur unsere Ruhe haben, bitte!“ Einige Leute klatschen. Zögernd und etwas ratlos löst sich die Versammlung auf. „Warum klatschen die?“ fragt Afrim Nuli entgeistert. Er bekommt keine Antwort.
Zwischen den etwa 250 DemonstrantInnen, einem bunten und keineswegs militant auftretenden Völkchen, unter dem sich auch nur wenige von Muhedins gefürchteten „Punkern“ befinden, und den Flüchtlingen kommt kein Gespräch zustande. Nur zwei Jugoslawinnen versichern Nuli auf Serbokroatisch, daß für ihn und seine Leute keine Gefahr bestanden habe. Ein Demonstrationsteilnehmer fordert dazu auf, „die Ausländer unter uns nach Hause zu begleiten und sie so wirksam vor faschistischen Übergriffen zu schützen“. Auf Afrim Nuli wartet am Straßenrand der Streifenwagen, um ihn zu den Container-Blocks hinter den Zäunen zurückzubringen.
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