: Transatlantische Klammer lockert sich
■ Die Nato hat sich auf keine neuen Strategien einigen können
Transatlantische Klammer lockert sich Die Nato hat sich auf keine neuen Strategien einigen können
In die Annalen der Nato wird diese 50.Tagung ihrer Nuklearen Planungsgruppe wahrscheinlich einmal als entscheidender Schritt auf dem Weg zum Ende der transatlantischen Militärallianz eingehen. Die Pläne zur Reduzierung ihres atomaren Arsenals in Westeuropa um insgesamt rund 80 Prozent durch die Verschrottung aller landgestützten sowie von rund 50 Prozent der flugzeuggestützten Waffen bedeuten einen weitgehenden Einschnitt in die Eskalationsstufen der „flexible response“ — wenn auch noch nicht die völlige Abschaffung dieser seit 24 Jahren gültigen Doktrin.
Diese längst überfällige Reaktion auf die Umwälzungen in Osteuropa bedeutet de facto eine beträchtliche Verringerung der Präsenz der USA in Westeuropa und damit der transatlantischen Verklammerung. Anderslautende Beteuerungen auf beiden Seiten des Atlantiks können darüber nicht hinwegtäuschen. Diese Dynamik wird weitergehen. Die rund 720 Atomsprengköpfe, die nach dem Beschluß der 15 Verteidigungsminister noch in sechs westeuropäischen Staaten — mit Schwerpunkt in der Bundesrepublik — verbleiben sollen, werden spätestens bis zum Ende des Jahrzehnts verschwinden. Die Nato hat sich nach fast anderthalbjähriger Diskussion nicht auf eine neue Strategie einigen können. Dieses wird auch bis zum Gipfel Anfang November in Rom nicht gelingen. Das sture Beharren auf der Option zum Ersteinsatz von Atomwaffen und anderen Elementen der alten Strategie werden nicht ausreichen, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit weiterer Atomwaffen in Westeuropa zu überzeugen.
Doch selbst langjährige Kritiker der Nato könnte ein mulmiges Gefühl befallen angesichts des gleichzeitig stattfindenden Rückfalls in überwiegend militärisch definiertes nationalstaatliches Machtdenken, das sich in Westeuropa ausbreitet. Die Bezeichnung des britischen Verteidigungsministers als „heruntergekommenen Kolonialoffizier“ durch einen deutschen General, die in Frankreich erwachten Ängste, hinter Bonns Jugoslawienpolitik stünden deutsche Machtinteressen — dieser Rückgriff auf überholt geglaubte Feinbilder ist ein alarmierendes Signal. Diese Entwicklung dürfte sich verschärfen, wenn in Kürze neben dem wirtschaftlichen Gefälle zwischen West- und Osteuropa nicht auch das Gefälle zwischen den großen westeuropäischen Staaten zum Thema gemacht und Maßnahmen ergriffen werden. Andernfalls werden Frankreich und Großbritannien versuchen, ihre relative Schwäche im Vergleich zu Deutschland militärisch zu kompensieren, etwa durch Festhalten an ihren Atomwaffen. Dies dürfte antifranzösiche und antibritische Tendenzen in Deutschland verstärken — mit entsprechenden Rückwirkungen in diesen beiden Nachbarländern. Andreas Zumach, z.Zt. Taormina
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