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Lehm und Weidengeflecht

■ Ein Ort der Ruhe und Kontemplation auf dem Alexanderplatz

Der Alexanderplatz zeichnet sich ja nicht gerade durch ein hohes Maß an Gemütlichkeit aus — auch wenn Gemütlichkeit nicht unbedingt für die Verweildauer auf einem großstädtischen Platz vonnöten ist. Die meisten Menschen schreiten schräg oder geradeaus über ihn hinweg um einzukaufen oder die S-Bahn zu erreichen, den Platz aber meist schnell zu verlassen. Der Annehmlichkeitsquotient liegt dabei nahezu bei Null, beziehungsweise auf dem Niveau der Schließfachhalle des Bahnhofes von Castrop-Rauxel und bietet deshalb nicht unoft Anlaß, sich über eine Veränderung des Zustandes Gedanken zu machen.

Die junge Künstlerin Georgis Pfeilsticker hat sich dieser Aufgabe gestellt und sich der Platzsituation auf eine unkomplizierte Weise genähert. Das erste künstlerische Projekt auf diesem Platz seit dem Fall der Mauer besteht aus einem Gehäuse aus Weidengeflecht und Lehm — der Form nach eher ein überdimensionierter Glascontainer. Fremd, aber nicht störend, wirkt diese kleine hellbraune Hütte der Rast. Die Künstlerin will dieses Gebilde bewußt mit der städtebaulichen Situation am Alex konfrontieren und benutzt dazu einfachste Mittel — nämlich die unserer Vorvorfahren. Sie schreibt: »Ich möchte einen Raum schaffen, der es ermöglicht, etwas langsamer, stiller zu werden, zu fühlen, zu tasten, zu riechen und zu schauen, und denjenigen, der den Raum Betritt (was nur durch eine Verbeugung möglich ist), für eine Zeit aus der Hektik der Umwelt und des sich produzierenden Ichs in eine ruhigere, die Sinne ansprechende Umgebung zu bringen. Die Maße des Raumes orientieren sich an einem menschlichen Körper. Das Spiel des natürlichen Lichtes ermöglicht ein Raumerlebnis, das von den Jahreszeiten und dem Stand der Sonne abhängig ist.«

Georgis Pfeilsticker betont ausdrücklich, daß es sich nicht um ein Architekturmodell handelt, ein solches nicht sein will und auch nicht mißverstanden werden soll als Alternativbebauung zur — den Alex umgebenden — vorhandenen Baumasse. Allein als Irritationsversuch, als Gelegenheit, sich mit gewöhnlichen und ungewöhnlichen Räumen auseinanderszusetzen, soll dieser Iglu aus Lehm verstanden werden.

Interessant — weil in der Großstadt sonst nicht möglich — ist das durch das Weidengflecht fallende Licht im Innern der Lehmhütte, aber auch die Sicht durch dieses hinaus, ein Blick, der nur in den Himmel möglich ist, da die mit Lehm verstrichenen Wände den horizontalen Blick verstellen. Die Beobachtungen der letzten Tage zeigen, daß der Versuch der Künstlerin, Menschen mit Hilfe eines solchen Projektes zu irritieren, gelungen scheint: Circa 80 bis 100 Personen stehen stündlich hier — sind einfach neugierig und stellen sich Fragen. Für ein temporäres Kunsterlebnis im öffentlichen Raum nicht gar zu wenig. Martin Kieren

Bis zum 4. November.

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