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Paradies unterm Tschador?

■ Iranische Filmreihe im »Arsenal«

Filmland Iran: Die persischen Mullahs als Propheten muselmanischer Lichtspiele? Was tatsächlich unter dem fundamentalistischen Tschador vorgeht, der hierzulande allein durch Betty Mahmoodys Nicht durch meine Tochter die Kinoleinwand verdüsterte, zeigt derzeit eine umfangreiche Filmreihe im »Arsenal«.

»Wir brauchen keine Ideale«, versucht eine tiefverschleierte junge Frau ihren Bräutigam zu beschwichtigen. »Aber die Ideale sind alles, was ich habe«, entgegnet ihr der von der irakischen Front heimgekehrte Fotograf in Mohsen Makhmalbafs Film Hochzeit der Auserwählten. Was hoffend auf einen radikalen Umbruch auf dem mörderischen Kriegsschauplatz ausharren ließ, ist von der postrevolutionären Wirklichkeit längst demontiert und demoliert worden. Wohin auch immer der vom Trauma des Krieges erschütterte Fotoreporter blickt, er stößt auf das altvertraute Bild von Korruption und Ausschweifung einer saturierten Oberschicht auf Kosten massenhafter Verelendung. Stillschweigend werden die Diskrepanzen übersehen, deren realistisches Abbild niemand wahrhaben will.

Makhmalbaf, Anfang der achtziger Jahre Initiator der Kunstabteilung der islamischen Propagandaorganisation und begeisterter Wortführer der Revolution, zählt heute zu deren schärfsten Kritikern. Verbittert über die preisgegebenen Ideale, nimmt er die einstigen Verheißungen beim Wort, um sie dem ernüchternden Alltag auszusetzen. Auf den Parolen, die ehedem alles versprachen, wurden diejenigen sitzengelassen, die im Vertrauen darauf alles hingegeben haben.

Durch einen Mercedes-Stern nimmt die Kamera an einer Mauerwand die verwitterten Losungen ins Visier. Dann schwenkt sie. Sprachlos sehen die Betrogenen mit an, wie die zum Kriegsdienst rufenden Durchhalteplakate demontiert werden. Makhmalbaf reitet die derzeit schärfsten Attacken in einer expressiv-assoziativen Bilderflut. Mit grimmem Humor kommentiert sein Episodenfilm Der Straßenhändler die bizarren Überlebensstrategien in den Elendsquartieren Teherans. Bettler und Diebe, Betrogene und Betrüger in einer verrückten Farce auf das kriegs- und krisengeschüttelte Land. Er selbst reflektiert seine Rolle in dem semidokumentarischen Film Nahaufnahme von Abbas Kiarostani. »Zu Beginn der Revolution waren wir alle wie Verliebte. Jetzt hingegen beherrscht uns die Angst«, bekannte Makhmalbaf nach einer iranischen Diffamierungskampagne.

Derartige »Nestbeschmutzung« wird Ayatollah Khomeini mit seiner widerwilligen Erlaubnis zur Wiederbelebung des iranischen Filmwesens kaum einkalkuliert haben. Immerhin bringt eine staatlich-protektionistische Kulturpolitik eine kontinuierliche Filmproduktion von jährlich über fünfzig Spielfilmen zuwege. Aus der Not mit der mullahhörigen Zensur schöpft das neue persische Kino seine besten Tugenden: sozial-realistische Alltagsnähe, eingebunden in Parabeln und Metaphern voll poetisch- sinnlicher Bildkraft.

Zur Symbolfigur wurde der Titelheld aus Bahram Beizais Erfolgsfilm Bashu, der kleine Fremde. Bashu, eine Kriegswaise, stößt in seinem Zufluchtsort auf Intoleranz, Mißgunst und blanken Eigennutz, die allgegenwärtig hinter archaischen Ritualen lauern und die Schwächsten der Schwachen zu Fremden im eigenen Land machen. Hin- und hergestoßen, wird ihr verzweifeltes Anrennen gegen Hierarchien zum Amoklauf, bei dem — wie in Kambuzia Partovis Debüt Der Fisch — ihre Träume auf der Strecke bleiben. Gänzlich im Ungewissen verliert sich die Spur eines Jungen auf der Suche nach einem Zuhause in Amir Naderis Wasser, Wind, Sand, einer existentiellen Parabel ewigen Getrieben- und Ausgeliefertseins.

Entgegen landläufigem Vorurteil gehören zur neuen Welle kritischer Filmemacher auch engagierte Filmemacherinnen wie Pouran Darakhshandeh. Verlorene Zeit, bereits ihr vierter Kinofilm, wehrt sich entschieden gegen die »traditionelle« Degradierung der Frau in der islamischen Gesellschaft, die das autoritär-patriarchale Herrschaftssystem vorprägt. Wo die Gegenwart alle Aussicht verdunkelt — Makhmalbafs Hochzeit der Auserwählten schließt mit starrem Blick auf ein aschfahles Häusermeer — bleibt als Ausweg nur die nostalgische Verklärung.

Saied Ebrahimifars Debüt Granatapfel und Schilfrohr, einer der wenigen unabhängig produzierten Filme, flieht in ornamentale Bilder einer entschwundenen Welt traumhafter Harmonie. Noch einmal lugt unter dem verordneten Tschador die Kalligraphie des Paradieses hervor. Roland Rust

Die umfangreiche Filmschau jüngerer iranischer Produktionen zeigt das »Arsenal« in dieser Woche bis einschließlich Samstag, 26.10. (in Originalfassung mit englischen Untertiteln).

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