: Die Bürokratie muß geknackt werden
■ Der Berliner Senat wird wegen seiner Haushaltssparpolitik von allen Parteien gedeckelt/ Die Parlamentarier haben keine Lust, sich bei der Überprüfung unter Zeitdruck setzen zu lassen
Berlin. Der Senat, ansonsten durch eine satte Mehrheit im Parlament eher verwöhnt und zu Eskapaden verleitet, sieht sich seit neuestem einer Fünf-Parteien-Opposition gegenüber. Jedesmal, wenn eines seiner Mitglieder zu den Haushaltsberatungen im Hauptausschuß antritt, weht ihm ein eisiger Wind entgegen. Innensenator Heckelmann wurde bereits mehrfach vom Ausschußvorsitzenden Klaus Franke (CDU) abgekanzelt, weil er seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Seine Kollegen von Schule und Justiz wurden unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt, weil sie ihre Unterlagen nicht beieinander hatten. Wegen derartiger Unbotmäßigkeiten seiner Mitregenten wurde gar schon der Regierende Bürgermeister, Eberhard Diepgen, vor den Ausschuß zitiert. Geholfen hat es wenig. Die Haushälter griffen deshalb zu einem drastischen Mittel, um der Verwaltung auf die Sprünge zu helfen: Für jede nicht fristgerecht eingereichte Vorlage werden dem entsprechenden Senatsressort pauschal 150.000 D-Mark Personalmittel gestrichen.
Der Unterausschuß »Stellenplan« brach am Donnerstag seine erste Beratung zum Haushalt 1992 sogar empört ab. Es sei, so befand der Abgeordnete des Bündnis 90, Arnold Krause, wie das Hornberger Schießen gewesen. Für Verdruß bei den Parlamentariern hatte ausgerechnet die Senatskanzlei des auf seine Vorbildfunktion bedachten Regierenden Bürgermeisters, Eberhard Diepgen, gesorgt. Deren Chef, Volker Kähne, bot als seinen Beitrag zum ehrgeizigen Personalsparprogramm des Senats ganze 15 Stellen zur Streichung an — in einer nachgeordneten Behörde. An der Spitze seiner Verwaltung wollte Kähne hingegen den Rotstift nicht ansetzen, dort beklagte er gar eine Minderausstattung gegenüber anderen Bundesländern. Die Grünen/Bündnis 90 machten eine Gegenrechnung auf. Demnach ist die Zahl der Stellen in der Senatskanzlei seit 1987 um 37,6 Prozent auf 289 gestiegen, 54 davon befaßten sich ehedem mit teilungsbedingten Aufgaben. Für Senatssprecher Dieter Flämig ist diese Ausstattung eine Mindestanforderung, aus den teilungsbedingten seien vereinigungsbedingte Aufgaben geworden, an Einsparung sei nicht zu denken.
Das sehen allerdings die Haushaltsexperten der Innenverwaltung ganz anders. Sie haben die politische Führung und die innere Verwaltung einem Ausstattungsvergleich mit der Hansestadt Hamburg unterzogen und kommen zu dem Ergebnis, daß unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einwohnerzahl in diesem Bereich in Berlin 1.800 Stellen abgebaut werden können. Damit könne, so ist einer Unterlage zu entnehmen, bereits 1992 begonnen werden. Allerdings, so prognostizieren die hellsichtigen Experten, »ist mit Widerständen der politischen Führung und der betroffenen öffentlich Bediensteten zu rechnen«. »Andererseits«, so trösten sie, »kann mit Verständnis der Bürger gerechnet werden«, wegen der »Verringerung der Bürokratiequote«. Daß sich davon die Verantwortlichen beeindrucken lassen, bezweifelt der FDP-Abgeordnete Jürgen Biederbick. Er habe es noch nie erlebt, daß sich die Bürokratie selbst abbaut. Als Beispiel für diesen Erfahrungssatz mögen die Stellen dienen, die ehedem mit teilungsbedingten Aufgaben befaßt waren. Nach Berechnungen der Innenverwaltung fielen 1.114 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes unter diese Rubrik. Sie waren mit Grenzkontrollen, der Bevorratung oder mit der Ausfüllung des deutsch-deutschen Kulturabkommen beschäftigt. Gestrichen wurde keine dieser Stellen. So sind mittlerweile 621 Grenz- und Objektschützer anderweitig im Polizeidienst untergekommen, obgleich im Vergleich zu Hamburg bei der Berliner Polizei ein Überhang von 2.142 Stellen besteht.
Nach Biederbicks Einschätzung könnten die teilungsbedingten Posten alle wegfallen. Er bemängelt, wie auch die Grünen, daß der Senat vor allem bei den Serviceleistungen für die Bürger, bei Lehrern und Kita- Stellen, streichen will, um auf die von ihm angepeilte Sparquote von 10.000 Stellen zu kommen. Statt dessen sei »die Bürokratie zu knacken«. Biederbick will nun im Hauptausschuß jede einzelne Beschäftigungsposition genau prüfen und sieht sich da im Einklang mit den anderen Fraktionen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ditmar Staffelt, hegt das gleiche Mißtrauen gegen die Reformfähigkeit der Verwaltung. Wenn wir das dem Innensenat überlassen, so höhnte er dieser Tage, »stehen wir in zwei Jahren da, wo wir jetzt stehen«. Er fordert deshalb externen Sachverstand, um den Apparat zu entschlacken.
Die Parlamentarier wollen sich bei der Überprüfung des Haushaltes nicht unter Zeitdruck setzen lassen. Obwohl die Verabschiedung eigentlich im Dezember stattfinden soll, wollen sie notfalls bis ins kommende Jahr hinein beraten, sollte die Verwaltung nicht ihre Hausaufgaben machen. Dieter Rulff
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