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Schlechte Nachrichten aus der Lust-Oase

David-Cronenberg-Filme im Fernsehen  ■ Von Manfred Riepe

Der Kanadier David Cronenberg wurde am 15. März 1943 in Toronto geboren. 1962 schrieb er sich an der Universität ein, um Biochemie zu studieren. Nachdem er mit einer Kurzgeschichte einen Preis erzielen konnte, wechselte er jedoch in die Fächer Englisch und Literatur. 1973 traf er seinen ersten Mentor, Ivan Reitman.

Der spätere Ghostbusters-Regisseur genoß seit seinem Low-Budget- Horrorfilm Cannibal Girls durch den hinterlistigen Einsatz einer „Anti-Schock-Warnglocke“ ein gewisses Ansehen. Als Produzent von Cronenbergs erstem abendfüllenden Spielfilm konnte Reitmann 1973 Gelder von der Canadian Film Development Corporation beziehen. Als die 185.000 Dollar billigen Parasitenmörder fertig waren, gab es im kanadischen Senat eine heftige Debatte über den Mißbrauch staatlicher Fördergelder.

Parasitenmörder beginnt als scheinheiliger Werbefilm. „Das tägliche Leben im Starliner“, so der erste Satz des Off-Sprechers, vom Original-Filmtitel Shivers (zu deutsch: grausiger Schauder) konterkariert, „ist wie eine immerwährende, luxuriöse Kreuzfahrt.“ Eine andere Welt, in der vom hektischen Getriebe der Großstadt Montreal nichts mehr zu spüren ist. Golf- und Tennisplätze, Restaurants, Supermärkte, Delikatessengeschäft, Damen- und Herrenboutique, (Zahn-)Artzpraxis und Swimmingpool machen die hermetische Upperclass-Enklave zum antiseptischen Utopia ungestörter Akkumulation von Lusterleben.

Um noch eins draufzusetzen, entwickelt der hybride Wissenschaftler Hobbs eine Parasitenart, die die wasserkopfartige Intellektualität des Menschen zwecks Maximierung der Erotik gemäß dem Prinzip „Make Love, not War“ reduzieren soll. Bestand die viktorianische Schizophrenie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde in der Ausmerzung „des Bösen“, so steht der kapitalistischen Vermehrung von Lusterleben genau das moralische, soziale Verhalten im Weg.

Analog zu den Bemühungen des Mad Scientist Dr. Jekyll rüttelt das Parasitenexperiment an den Grundfesten des menschlichen Wesens und gerät außer Kontrolle. Auf die Revolte wider die Verfaßtheit der Physis folgt eine Konterrevolution des Körpers: Statt ekstatischer Woodstock-Blumenkinder bevölkert den Starliner alsbald eine militante, De Sadesche Lust-Guerilla, die sich am Ende zur kopulativen Weltverschwörung formiert. Die einzige positive Identifikationsfigur, Dr. St. Luc (Paul Hampton), spielt wegen dem allzu leichtfertigen Einsatz der Waffe eine äußerst zwiespältige Rolle. Konsequent sperrt sich der Film dem Happy-End.

Nach den Parsitenmördern folgte 1976 Der brüllende Tod, der mit 500.000 Dollar Produktionskosten sieben Millionen einspielte und Cronenberg zum erfolgreichsten Regisseur Kanadas machte. Ähnlich wie in Parasitenmörder kommt der Horror aus dem Operationssaal. Nach einer Gewebetransplantation entwickelt sich eine junge Frau in eine Art Vampir, der epidemisch eine Seuche verbreitet, die die Leute dazu bringt, mit sardonischem Grinsen aufeinander loszugehen.

Streikende Bauarbeiter bearbeiten verantwortungslose Politiker mit dem Bosch-Hammer. Das Establishment setzt sich gegen den parazivilen Triebterror mit altbewährten Mitteln zur Wehr: „Die Erschießung der Kranken ist nach Meinung unserer Fachärzte (sic) der einzige Weg, der Epidemie Herr zu werden. Sonderkommandos mit Scharfschützen jagen jeden Kranken.“ Eine Radikalität, die sogar Blüms Reform des Gesundheitswesens in den Schatten stellt.

Obwohl man besonders den Parasitenmördern das Schnürsenkelbudget bisweilen noch störend anmerkt, gilt Martin Scorseses Lob: „Innerhalb des Genres, dessen Grenzen für die meisten sehr eng abgesteckt sind, schafft Cronenberg ein Universum von absoluter Originalität.“ Was auf Cronenbergs bemerkenswerte Ökonomie des Erzählens und seine präzise Führung der durchweg guten Schauspieler zurückzuführen ist. Die fiktive Überschreitung der Normalität kommt stets aus dem Beiläufigen, Alltäglichen. Allein schon wie jemand sich das Gesicht oder den Bauch betastet, erzeugt unangenehme Vorahnungen.

Abseits von Hollywood hat der Kanadier dem Horrorfim eine „neue Innerlichkeit“ implementiert. Seine bekanntesten (Mach-)Werke, Scanners, Die Fliege und Die Unzertrennlichen sind Filme, die sprichwörtlich aus dem Bauch heraus gedreht sind. Ebenfalls in deutscher Erstaufführung zeigt RTLplus im Dezember Cronenbergs besten Film Videodrome aus dem Jahr 1982, den Andy Warhol als Uhrwerk Orange der 80er Jahre bezeichnete.

Heute „Parasitenmörder“, Dienstag, 22.10. „Rabid — Der schleichende Tod“, jeweils 0.00 Uhr auf RTL plus.

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