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Allein gegen die neue Zeit

■ Beispiel Großbehnitz: Ohne Fachkräfte und ohne Geld tun sich die Gemeinden um Berlin schwer mit der Fülle von neuen Aufgaben

Großbehnitz. Der Name täuscht: Großbehnitz ist ein kleines Dörfchen im Kreis Nauen mit 723 EinwohnerInnen, einem Fleischer, einem Bäcker, einer Spedition und einer aufgelösten LPG. Bei der arbeitete früher Martin Liepe, Ingenieur für Landtechnik. Am 28. November 1990 wagte er den »Sprung ins kalte Wasser«, seitdem versucht er sich als Bürgermeister des Ortes westlich von Berlin freizuschwimmen. Ganz allein ist er dabei nicht, zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen im Rathaus und der Gemeinderat unterstützen ihn. Das war's dann aber fast schon, von oben, dem Kreis oder gar dem Land, kommt so gut wie keine Hilfe. Liepe schätzt sich deswegen glücklich, daß er aus alten LPG-Zeiten eine »gewisse Vorahnung von Finanzdingen« hat, so kann er zumindest seinen kärglichen Etat zusammenhalten. Doch ein Bürgermeister hat noch mehr zu tun, als nur das Geld im Gemeindesäckel zu zählen. Die Großbehnitzer etwa denken daran, ein größeres Gebiet am Ortsrand als Bauland auszuweisen. Interessenten dafür gibt es genug, selbst Berliner haben schon im Rathaus vorgesprochen. Doch vor das Bauen haben die Bürokraten das Planen gesetzt: ohne Bebauungsplan geht es auf keinen Fall, ein Flächennutzungsplan wäre auch nicht schlecht. Und der Kreis will ebenfalls gefragt werden, schließlich hat der sein Entwicklungskonzept nicht nur zum Spaß erstellt. Dazu gibt es noch ungelöste Eigentumsfragen, jede Menge Richtlinien die sich dauernd ändern und Fördermittel von Bund und Land, die beantragt werden wollen. Alles in allem: »Es ist ein Kampf«, sagt Bürgermeister Liepe und zeigt auf den Stapel Papier auf seinem Schreibtisch.

So ist Martin Liepe um jede Hilfe froh, Arbeit gibt es genug im Rathaus. Einer, der ihm bei diesem Papierkrieg hilft, heißt Wolfgang Hoelzner. Der studiert im siebten Semester Politologie an der FU in Berlin und absolviert derzeit ein Praktikum in Großbehnitz, genauer gesagt, im Vorzimmer des Bürgermeisters. Dort sitzt er über seine Schreibmaschine gebeugt, wälzt dicke Bücher und studiert Karten als Vorbereitungen für den Bebauungsplan. Ein Ablaufschema soll den örtlichen Entscheidungsträgern Hilfestellung geben. »Im Gemeinderat sitzem Laien. Viel Ahnung können die von diesen Dingen gar nicht haben«, sagt der Bürgermeister. Deshalb muß der Praktikant zeigen, was geht und was nicht, die juristische Seite der Unternehmung zu Papier bringen. Der angehende Diplom-Politologe hat bereits eine Zusammenfassung des Kreisentwicklungsplanes erstellt, die wesentlichen Paragraphen des Baugesetzbuches herausgearbeitet und durch eine Sammlung der wichtigsten Richtlinien vervollständigt. Damit haben Bürgermeister und Ratsherren dann eine konkrete Falluntersuchung an der Hand, mit der sie weitere Planungen bestreiten können. Eigentlich, das weiß auch Liepe, wäre solch eine Arbeit ein Job für die Fachleute einer Baubehörde oder einer Beratungsfirma. Aber von einer Erweiterung ihrer Verwaltung können die Großbehnitzer zur Zeit nur träumen und private Berater sind schlicht und ergreifend zu teuer. Natürlich haben die sich auch schon in seinem Ort angedient, berichtet Martin Liepe, aber zu welchen Konditionen: Ein kompletter Flächennutzungsplan würde 60.000 Mark kosten, allein für eine Grobkonzeption waren schon knappe 20.000 Mark fällig. Auch »Nachhilfe« für den Bürgermeister ist momentan noch ein Ding der Unmöglichkeit. Kreis und Land bieten den Kommunalpolitikern kaum Unterstützung an und Lehrgänge privater Schulungsfirmen haben eben einen gewaltigen Haken. »500 Mark am Tag«, bemerkt Liepe trocken, »und dafür gibt's noch nicht mal einen anerkannten Abschluß.« Also ist das Ortsoberhaupt ganz froh über die Hilfe aus Berlin, zumal: »Bei den Privaten weiß man ja nie so genau, wessen Interessen die tatsächlich verfolgen.« Theo Weisenburger

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