: Denkzettel für Präsident Turgut Özal
■ Die türkischen Wähler haben Özals regierender Mutterlandspartei eine schwere Niederlage bereitet. Wahlsieger ist der putschanfällige Ex-Premier Demirel.
Denkzettel für Präsident Turgut Özal Die türkischen Wähler haben Özals regierender Mutterlandspartei eine schwere Niederlage bereitet. Wahlsieger ist der putschanfällige Ex-Premier Demirel.
AUS ISTANBUL ÖMER ERZEREN
Süleyman Demirel, der konservative Politiker und frühere Ministerpräsident, ist am Sonntag als Sieger aus den türkischen Parlamentswahlen hervorgegangen. Seine „Partei des rechten Weges“ (DYP) vereinigte als stärkste Partei den Hochrechnungen zufolge 27,5 Prozent der Stimmen auf sich. Damit dürfte sie 180 der 450 Mandate in der türkischen Nationalversammlung errungen haben. Der 69jährige Demirel, der 1980 von den Militärs weggeputscht wurde, feiert somit sein Come-back. Wahlentscheidend für Demirel waren die ländlichen Regionen im Westen der Türkei. Für eine Alleinregierung reicht es indes nicht. Demirel ist auf eine Koalition angewiesen.
Die seit 1983 alleinregierende „Mutterlandspartei“ (ANAP), der nach Meinungsumfragen vor der Wahl eine schwere Niederlage vorhergesagt worden war, konnte sich als zweitstärkste Partei behaupten. Obwohl sie große Verluste hinnehmen mußte, errang sie 24 Prozent der Stimmen und wird rund 120 Abgeordnete ins Parlament schicken können.
Die ANAP gewann vor allem in den Städten. Von den 50 Mandaten in Istanbul gingen 30 an die ANAP. Die Aussage des jungen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz, der unmittelbar vor den Wahlen bekräftigte, daß der türkische Staatspräsident Turgut Özal künftig nur im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Aufgaben wirken werde, hat offensichtlich viele Unentschlossene dazu bewegen können, doch der ANAP ihre Stimme zu geben.
Der autokratische Führungsstil Özals, der sich als Staatspräsident auch in den Wahlkampf einmischte und indirekt Wahlpropaganda für die Mutterlandspartei betrieb, war ständiges Wahlkampfthema der Oppositionsparteien. Demirel hatte im Wahlkampf angekündigt, daß er alles daran setzen werde, um Özal aus seinem Amt zu jagen. Angesichts des Wahlausgangs erscheint es höchst zweifelhaft, ob Demirel sein Versprechen einlösen kann — zumal es dazu einer Verfassungsänderung bedarf.
Wahlausgang Fiasko für die Sozialdemokraten
Für die „Sozialdemokratische Volkspartei“ (SHP) ist der Wahlausgang ein Fiasko. Die Partei, die angetreten war, diese Wahlen zu gewinnen, konnte nur 20,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen und wird über rund 86 Sitze im neuen Parlament verfügen. Parteianhänger zerrissen in der Parteizentrale Poster von Erdal Inönü, den sie als Parteichef für die Wahlniederlage verantwortlich machen. Die Partei ist durch die Wahlen praktisch ausgezehrt worden. Lediglich in den kurdischen Regionen erzielte die Sozialdemokraten überwältigende Gewinne. Doch diese Gewinne sind nur darauf zurückzuführen, daß die Partei mit der kurdischen „Arbeitspartei des Volkes“ (HEP) ein Bündnis einging und führende kurdische Oppositionelle auf ihren Listen kandidieren ließ.
Ein Großteil der Parlamentsfraktion der Sozialdemokraten wird nunmehr aus oppositionellen Kurden bestehen, die der Partei ohnehin distanziert gegenüberstehen und jederzeit eine eigene kurdische Partei gründen können. Inzwischen hat der stellvertretende Generalsekretär der HEP, Ahmet Karatas, angekündigt, daß zwanzig kurdische Abgeordnete aus der Sozialdemokratischen Volkspartei austreten werden.
Inönü machte für das Wahlfiasko Ex-Premier Bülent Ecevit, der mit seiner eigenen „Partei der demokratischen Linken“ (DSP) kandidierte, verantwortlich. „Wir haben nicht verhindern können, daß Ecevit in den Großstädten die sozialdemokratische Wählerschaft spaltete“, sagte Inönü. Die DSP Ecevits erhielt rund 10,5 Prozent der Stimmen und schaffte knapp die 10-Prozent- Hürde. Aufgrund des türkischen Wahlsystems wird die Partei indes nur über sechs Abgeordnete im Parlament verfügen. Ecevit hatte in seiner Wahlpropaganda die „Kollaboration“ der SHP mit der PKK, mit „Terroristen“, gegeißelt und hatte nationalistische Töne angeschlagen.
Einen Überraschungscoup landete die islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei, die rund 17 Prozent der Stimmen erhielt und über rund 55 Abgeordnetenmandate verfügen wird. Die Fundamentalisten unter Necmettin Erbakan waren ein Bündnis mit zwei rechtsextremen Parteien eingegangen. Auch Alparslan Türkeș, einst Chef der „Grauen Wölfe“, wird ins türkische Parlament einziehen.
Eine stabile Koalitionsregierung scheint angesichts des Wahlergebnisses recht schwierig. Demirel müßte entweder mit der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ (SHP) oder mit der Wohlfahrtspartei Erbakans eine Koalition eingehen. Eine Koalition mit den Fundamentalisten würden die bitteren Erinnerungen an die siebziger Jahre, an die sogenannte „Nationalistische Front“, wachrufen. Es war die Zeit, als Demirel mit der faschistischen „Nationalistischen Aktionspartei“ des Obersten Türkeș und mit Erbakan koalierte. Eine erneute Koalition mit der extremen Rechten könnte Demirels liberalisiertem Image schweren Schaden zufügen.
Auf der anderen Seite besteht die Fraktion der Sozialdemokraten zum größten Teil aus regimekritischen kurdischen Oppositionellen, und einer Koalition mit der Mutterlandspartei steht die Person des Staatspräsidenten Özal im Wege. Am Montag schwieg man sich erst mal aus, die Parteiführer enthielten sich lieber irgendwelcher Koalitionsspekulationen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen