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Sie sind das normale Leben leid

■ Ein Journalist aus China schreibt über Punks vom Breitscheidplatz und buddhistische Mönche

Berlin. Punk and Monk, Punker und Mönch. Im Englischen reimt sich das. Ein Hinweis auf Gemeinsamkeiten? Was mich am Breitscheidplatz, wo eine Menge interessanter Menschen zu sehen sind, am meisten fasziniert hat, sind die Punks. Bevor ich nach Berlin kam, hatte ich niemals welche gesehen. Ich war neugierig darauf, zu erfahren, woher sie kommen und was sie denken. Als ich zum zweiten Mal auf den Platz ging, hatte ich mich zu einem Interview durchgerungen.

Josef, einer von ihnen, saß in einer dunklen Ecke auf einer schmuddeligen Wolldecke. Sein Schädel war ziemlich kahlgeschoren, und von seiner Gestalt her war er eher klein. »Wieso bist du immer hier und nicht zu Hause?«, fragte ich ihn. Er sagte, er habe kein Zuhause. »Mein Vater starb vor sechs Jahren, meine Mutter vor drei. Ich bin seit drei Jahren hier.« Josef sprach sehr leise, aber in völlig korrektem Englisch. Er sei damals seiner Freundin aus Nürnberg nach Berlin gefolgt. Doch die habe indessen schon einen anderen Mann kennengelernt. »Dann habe ich das Trinken angefangen und bin hier auf den Platz gekommen, seitdem bin ich hier.« Wovon er denn lebe? Wenn Leute von ihm Fotos machten, bekomme er manchmal Geld. Außerdem gebe es Stellen in der Stadt, wo man umsonst Essen bekommen könne. »Denkst Du daran, einen Job zu suchen?« Nein, dieses Leben zwischen Wohnung, Arbeitsplatz und Wohnung, das sei völlig nervtötend und langweilig. »Über die Zukunft mache ich mir keine Gedanken. Ich glaube, daß ich in ein, zwei Jahren sterben werde.« Josefs traurige Augen blitzten auf, als er ein Messer aus der Tasche zog und es durch die Luft schwang. »Ich muß mich selbst verteidigen können. Manchmal klauen mir Leute hier die Klamotten oder mein Essen.« Aber Freunde habe er hier auch. »Das sind auch Punks. Sie kommen hierher, um sich mit mir zu unterhalten oder hier zu schlafen, weil sie selbst keine Wolldecke haben.«

Am nächsten Tag traf ich einen weiblichen Punk, 20 Jahre alt. Sie hatte knallrote Haare, und am Hinterkopf hatte sie sich eine Glatze geschoren. Ich fragte, warum sie das getan habe. »Ich protestiere damit gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter.« Sie kam aus der früheren DDR und lebte mit ihrer Mutter zusammen. »Wir sind nach der Wiedervereinigung in den Westen gegangen«, erzählte sie. Trotzdem war sie davon überzeugt, »daß wir wirklichen Sozialismus brauchen. Aber ich weiß nicht, ob das jemals funktionieren wird.«

Später traf ich noch weitere Punks, sie trugen die typische Kleidung — lang und schwarz. Frappierend fand ich, daß die Kleider sehr denen der buddhistischen Mönche ähneln. Ich denke, es gibt noch weitere Ähnlichkeiten. Mönche und Punks, beide sind das normale Leben leid und wollen etwas anderes versuchen. Der Ausgangspunkt ist aber dennoch ein anderer. Die chinesischen Mönche glauben, daß alle Schwierigkeiten und Probleme im Leben von dem Streben nach Besitz ausgeht. Wer reich werden will, wird tief traurig sein, wenn er Geld verliert. Wer sich von der Person trennen muß, die er oder sie liebt, wird leiden.

So denken die Mönche, daß es das beste ist, allem Streben, der Leidenschaft und der Begierde zu entsagen und in der Abgeschiedenheit der Berge zu leben. Dort brauchen sie kein Geld und keine Liebe. Und sie fasten, trinken keinen Wein und essen kein Fleisch.

Die Punks hingegen können alles tun und lassen, was sie wollen. Der größte Unterschied ist, daß der Mönch sich viele Beschränkungen auferlegt und der Punk gar keine. Und das liegt wohl am unterschiedlichen kulturellen Hintergrund. Zhong Mengbai/

Übersetzung: kotte

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