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„Zeigen, daß wir Menschen sind“

■ Dorf trotzt den Rechtsextremen/ CSU-Bürgermeister stellt sich vor Flüchtlinge

Görisried/Landkreis Ostallgäu (taz) — Genau das hatten sie wohl nicht erwartet, die drei Skinheads, die vor acht Tagen das Alylbewerberheim in Immenstadt im Allgäu ausbrannten, daß die Stimmung so umschlagen würde. Weit über 1.000 Einwohner der Kleinstadt zogen noch am selben Abend durch die Straßen, mit Plakaten, auf denen stand „Wir schämen uns!“ Auch in der 1.100-Einwohner-Gemeinde Görisried im Landkreis Ostallgäu haben die Rechtsextremisten das Gegenteil dessen bewirkt, was sie wollten. Denn nach einer nächtlichen Plakataktion, bei der sie hakenkreuzverschmierte „Ausländer raus“-Parolen an die Hauswände gekleistert hatten, rückten sogar einige der 85 Briefschreiber, die zuvor eine Protestnote gegen Ausländer unterschrieben hatten, von ihrer harten Linie ab. Dafür haben in Görisried nicht zuletzt der Pfarrer und der Bürgermeister gesorgt. Georg Kugler ist von Beruf Landwirt. Seit mehr als fünf Jahren ist er aber auch Bürgermeister in Görisried. Seit einiger Zeit sind im Ochsenhof, in der Kaserne bei der ehemaligen Pershing-Stellung, 250 Asylbewerber untergebracht.

„Wissen Sie, wir sehen die nicht als Asylanten, sondern als Menschen. Wer gibt uns denn das Recht, die so ganz pauschal zu verurteilen? Das sind mitunter ganz arme Leute, Verfolgte, die Frau und Kinder daheim zurücklassen mußten“, sagt der 50jährige CSU-Mann Kugler, für den die 250 Männer aus 28 verschiedenen Ländern Gemeindebürger sind, „die ich alle gleich zu behandeln habe“. Und das sieht dann so aus, daß der Bürgermeister zusammen mit seinem Freund dem Pfarrer, dem Asylkreis und einer Reihe von Görisriedenern zunächst mal Fahrräder gesammelt hat. „Weil die dort droben, drei Kilometer vom Ort weg, einfach zu sehr abgekoppelt sind.“ Kugler hat es in zähen Verhandlungen auch geschafft, daß das Asylbewerberheim ab dem 4. November an den Busverkehr angeschlossen wird.

Der Gemeindechef läßt keine Gelegenheit aus, Abgeordnete, Landräte und andere wichtige Persönlichkeiten nach Görisried zu holen — zum Anschauungsunterricht. „Weil die Politiker doch oft gar nicht mehr wiessen, was bei uns unten an der Basis los ist.“ Auf Versammlungen kämpft Bauer Kugler für die Flüchtlinge und gegen Vorurteile. „Ich kann nur Positives berichten“, sagt er. Es gibt sie nämlich nicht, die angeblichen Diebstähle, die angeblichen Vergewaltigungen, die angeblichen Drogengeschichten. Aber es gibt inzwischen die anonymen Briefe und Anrufe, „zu jeder Tages- und Nachtzeit“. Ein zweites Hoyerswerda haben sie dem „Bürgermeister der Wirtschaftsflüchtlinge“ angedroht. Aber davon läßt sich Kugler nicht einschüchtern. „Wissen's, so schnell geh' ich nicht in die Knie“, sagt er trotzig. „Ich bin überzeugt, 95 Prozent unserer Bürger akzeptieren es, wenn man klipp und klar sagt, wo's lang geht.“ Keiner würde Hurra rufen, wenn plötzlich Hunderte von Asylbewerbern kämen. „Aber wenn sie da sind, dann zeigen wir den Asylanten, daß wir Menschen sind.“

Zwei Bürger geben inzwischen im Asylbewerberheim ehrenamtlich Deutschunterricht und auch die Lehrer sind aktiv geworden. „Dafür bin ich besonders dankbar, weil Ängste oft schon bei den Kindern daheim geschürt werden.“ Und als vor acht Tagen eben dieser Anschlag in Immenstadt zwei Schwerverletzte gefordert hat und oben am Ochsenhof plötzlich wieder die Angst da war, da haben Leute aus dem Dorf oben bei den Asylbewerbern übernachtet. Klaus Wittmann

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