: Seit acht Monaten im Versteck
Bielefeld: „Aktion Symbolisches Asyl“ versteckt Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo/ Der Familie steht zweite Abschiebung nach Jugoslawien bevor/ Obwohl die Unterdrückung im Kosovo heute in Europa ihresgleichen sucht, erhalten nur zwei von hundert Kosovo-AlbanerInnen in der BRD Asyl ■ Aus Bielefeld B. Markmeyer
Warum tun sie das? „Ich kann nicht immer nur den Staat kritisieren und wie der mit Flüchtlingen umgeht, ohne mich praktisch dazu zu verhalten“, antwortet Heiner Köster*. „Ich würde mir sonst unglaubwürdig vorkommen“, sagt Karola Strothdrees*. „Ich habe die Nazizeit miterlebt. Ich weiß, was es bedeutet Flüchtling zu sein. Flüchtlinge, Verfolgte jeder Art unterstütze ich als Gebot der Menschlichkeit... Auch wenn das das Gesetz verletzt. Diese Menschen sind herumgehetzt worden in der Welt“, erklärt Hartmut von Hentig, der bekannte Bielefelder Reformpädagoge. Heiner Köster, Karola Strothdrees und Hartmut von Hentig gehören zur „Aktion symbolisches Asyl“ (ASA) in Bielefeld, in der sich AktivistInnen verschiedener Flüchtlingsgruppen zusammengeschlossen haben.
„Aktion symbolisches Asyl“ versteckt Flüchtlingsfamilie
Seit acht Monaten versteckt die „Aktion“ eine sechsköpfige albanische Familie aus dem Kosovo (Jugoslawien), die nicht nach Bayern will, weil ihr von dort zum zweiten Mal die Abschiebung droht.
Zweimal haben die Osmanis* ihr Quartier bereits gewechselt. Ihr zweites Asylbegehren in Bayern wurde unterdessen abgelehnt. Sobald der letzte Gerichtsentscheid ergangen ist, müssen sie ausreisen. Da dieser Termin näherrückt, rechnet die Familie jetzt mit Nachforschungen durch die Polizei. Karola Strothdrees, Heiner Köster und andere helfen den Osmanis derweil, ihren Alltag zu bewältigen.
Der Alltag ist Ausnahmezustand
Sie begleiten sie zu Einkäufen und Arztbesuchen, ermöglichen Verwandtenbesuche. „Eigentlich bräuchten wir“, sagt Köster, „wie in anderen Ländern auch hier Rechtsanwälte und Ärzte, die illegale Flüchtlinge kostenlos betreuen.“ Über 10.000 Mark hat die „Aktion Symbolisches Asyl“ schon für die Versorgung der Osmanis aufgebracht. „Doch viel schwieriger und anstrengender, als 10.000 Mark zu besorgen“, meint Karola Strothdrees, „ist für uns das Zusammenleben mit der Familie“.
Zuhause, im Kosovo schickte Mutter Suhrete Osmani ihre Kinder nicht zur Schule, weil sie Angst vor Vergiftungsanschlägen hatte. Nun können die vier, im Alter von vier bis zehn Jahren, auch in Bielefeld nicht zur Schule oder in den Kindergarten gehen, weil ihre Eltern illegal hier sind. Gleichaltrige zum Spielen haben die Osmani-Kinder nicht, ihr Alltag ist Ausnahmezustand. Suhrete Osmani sorgt allein für den Haushalt und muß, obwohl selbst erschöpft, mit den psychischen Folgen der illegalen Existenz und den häufigen Krankheiten der Kinder fertigwerden. Vor wenigen Wochen brach sie zusammen. Sie spuckte Blut und mußte in ein Krankenhaus. Für eine Woche bot die Stadt Bielefeld den Osmanis daraufhin Unterkunft in einem Übergangswohnheim und Sozialhilfe. Danach jedoch sollte die Familie die Stadt Richtung Bayern verlassen. Nach ein paar Tagen „sichtbarer“ Existenz tauchten die Osmanis wieder unter: eine weitere Station ihrer nunmehr dreijährigen Odyssee.
Eine Geschichte von Angst und Verfolgung
Im Herbst 1988 fliehen die Osmanis erstmals in die Bundesrepublik und kommen nach Bielefeld. Einen Monat später sollen sie und 150 weitere Kosovo-AlbanerInnen ins bayerische Zirndorf „umverteilt“ werden. Die Flüchtlinge wehren sich. Ein halbes Jahr später werden sie dennoch mit Polizeigewalt nach Bayern gebracht, als AsylbewerberInnen abgelehnt und abgeschoben. Die heute 28jährige Suhrete Osmani geht mit den Kindern nach Prishtina, in die Hauptstadt des Kosovo, zurück. Die Verfolgung, die ihrem politisch engagierten Mann gilt, aber seit Jahren ihr und den Kindern das Leben zur Hölle gemacht hat, setzt sich fort.
Drei Wochen nach ihrer Ankunft im Mai 1990 nimmt die Polizei sie mit, verhört sie stundenlang und droht ihr mit Haft, weil sie ihren Mann nicht verrät. Den LKW-Fahrer Basri Osmani verfolgen die serbischen Behörden, seit er 1981 in Prishtina an den Demonstrationen gegen die Entrechtung der AlbanerInnen teilnahm und sich auch in den folgenden Jahren an Flugblatt-Aktionen und vereinzelten Protesten gegen die Serben beteiligte. Mehrere seiner Freunde sitzen im Gefängnis. Wie zwischen 1981 und 1988 versteckt sich Basri Osmani nach der Abschiebung wieder fern seiner Familie in Kroatien. Als Suhrete im Januar dieses Jahres bei einer der häufigen nächtlichen Hausdurchsuchungen zusammengeschlagen wird und ins Krankenhaus muß, bittet sie ihren Mann, erneut nach Deutschland zu fliehen.
Eine Geschichte von Angst und Verfolgung, wie sie die meisten Kosovo-Flüchtlinge erzählen können. Obwohl, wie US-Außenminister James Baker bei seinem Belgrad-Besuch im Juni feststellte, „die Unterdrückung im Kosovo im heutigen Europa ihresgleichen sucht“ und selbst albanische Kinder vor der Ermordung durch serbische Banden nicht sicher sind, erhalten nur zwei von hundert Kosovo-AlbanerInnen in der Bundesrepublik Asyl. 98 Anträge werden, wie der der Osmanis, als „unbeachtlich“ eingestuft. „Für uns“, sagt Helga Boldt, Sprecherin der Grünen im Bielefelder Stadtrat, die die ASA unterstützen, „steht diese Familie stellvertretend für viele tausende in der Bundesrepublik, die nicht geschützt werden können.“
Der Bielefelder Stadtdirektor Jürgen Heinrich (SPD) sieht „keine Möglichkeit die Familie hierzubehalten“. Sobald nun die Osmanis abgeschoben werden sollen, muß Bielefeld helfen, die Familie ausfindig zu machen. Und dies, obwohl der Rat der Stadt am 27. Juni dieses Jahres auf Antrag der Grünen einstimmig beschlossen hat, „sich für den Verbleib der in der Bundesrepublik lebenden Kosovo-Flüchtlinge einzusetzen, solange in Jugoslawien eine inhumane Lebenssituation fortbesteht“, was auf einen de-facto-Abschiebestop aus Bielefeld bis Ende des Jahres hinausläuft.
„Danach ist es nicht ausgeschlossen, daß Kosovo-Albaner auch aus Bielefeld wieder abgeschoben werden“, meint Stadtdirektor Heinrich. Die Osmanis haben sich entschieden, weiter versteckt zu leben. Und Karola Strothdrees, Heiner Köster und die „Aktion Symbolisches Asyl“ werden sie weiter unterstützen. Wie lange? „Das wissen wir auch nicht“, sagt Köster.
* Name von der Redaktion geändert.
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