„Die Politiker treten uns in den Arsch“

600 Meter unter der Erde wächst der Zorn der Bergleute auf die Politik/ Angst vor der Stillegung ihrer Zeche führt zu Wut — und bei manchem auch zu rechtsradikalen Gedanken  ■ Aus Hückelhoven Walter Jakobs

Rudolf Hannig reckt sich hoch. Seine schwarzen Augen funkeln im schwachen Neonlicht, die Müdigkeit steht dem 44jährigen im Gesicht geschrieben. Seit 130 Stunden harrt Hannig nun schon mit etwa 500 Kumpeln auf der 4. Sohle im Schacht 5 der Zeche Sophia Jakoba, 600 Meter unter der Erde, aus. „Wir sitzen hier für unsere Arbeitsplätze. Wenn diese Zeche tatsächlich zugemacht wird, dann läßt die Politik uns fallen wie einen nassen Sack.“ Die Männer sind geladen: „Eins ist für mich ganz klar, ich werde niemals unter Brücken schlafen, eher lande ich im Knast. Wenn man mich nicht arbeiten läßt, werde ich mir das, was ich brauche, aus den Schaufenstern holen. Das steht fest, aber schreib meinen Namen nicht in die Zeitung“, sagt einer erregt. Viel hat sich bei den Bergleuten aufgestaut, so viel, daß auch besonnene Männer wie der Betriebsratsvorsitzende Franz-Josef Sonnen manchmal ein ungutes Gefühl beschleicht. „Die Politiker wissen gar nicht, was sie hier kaputtmachen.“

Auf der 4. Sohle sind sie die vagen Versprechungen der Politiker endgültig satt. Rudolf Hannig: „Alle Parteien haben gesagt, sie stehen hinter uns, aber wenn es drauf ankommt, erinnert sich keiner. Die haben hier gelogen, dat gibbet gar nicht.“ Zur Zeit wird es tatsächlich ernst. Für das langfristige Überleben ist die Zeche in Hückelhoven, die als weitaus größter Arbeitgeber in der ländlichen Region nahe der holländischen Grenze 4.000 Menschen Arbeit bietet, auf den Aufschluß weiterer Kohlefelder angewiesen. Im Visier haben die Bergleute das Feld unter dem britischen Militärflughafen Wildenrath. Aus eigenen Mitteln ist das nicht zu schaffen. Zusätzlich Subventionen von zunächst etwa zehn Millionen DM — insgesamt beläuft sich der Betrag auf 150 Millionen Mark — wäre nötig, um an die Kohlevorkommen von etwa 13 Millionen Tonnen heranzukommen. Mit diesem Geld wäre ein Überleben bis zum Jahr 2008 gesichert. Am Montag endete ein Gespräch im Bonner Wirtschaftsministerium ohne Ergebnis. Ein entsprechendes Gutachten der Treuarbeit, von Wirtschaftsminister Möllemann in Auftrag gegeben, kommt zu dem Schluß, daß es unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten am günstigsten wäre, den Pütt schon 1993 zu schließen.

„Der Region“, so der 33jährige Elektriker Gerd Meerts dazu, „muß man eine faire Chance zur Umstrukturierung geben. Noch vor ein paar Jahren, während der Ölkrise, sind die Bergbauunternehmen aufgefordert worden, zusätzlich auszubilden. Man hat uns gesagt, kommt zur Zeche Sophia Jakoba, da habt ihr einen sicheren Arbeitsplatz, und jetzt treten sie uns in der Arsch.“ Auf die Politiker, längst nicht nur auf Möllemann, sind die Männer auf der 4.Sohle schlecht zu sprechen. „Die wollen die Sache aussitzen. Die betreiben eine Salamitaktik, und wenn unsere Unterstützung in den Medien weg ist, dann versetzen die uns den Todesstoß.“ Das, so fährt der 37jährige Helmut Kabbat, der mit 14 Jahren zu Zeche kam, fort, „ist der Boden, auf dem der Rechtsradikalismus gedeiht.“ Völlig falsch liegt Kabbat sicherlich nicht, denn es gibt eine ganze Reihe von Bergleuten, die sich nur noch von einer nationalistischen Politik eine Rettung versprechen. „Überall in der Welt verteilen unsere Politiker die Millionen, aber nur um uns kümmert sich niemand.“

Von allen allein gelassen, reagieren einige so wie der 46jährige Klaus Märtin, der für seine Lage ausgerechnet jene verantwortlich macht, die in diesen Tagen überall in Deutschland in Angst und Schrecken leben müssen — Ausländer und Flüchtlinge: „Du mußt bei uns doch nur eine braune oder schwarze Haut haben, dann kümmern sich die Politiker um dich.“ Eine Einzelstimme gewiß, aber — und das bestätigt Betriebsrat Franz-Josef Sonnen — eine, die auf Unterstützung bei einer ganzen Zahl von Bergleuten stoßen könnte, „wenn nicht endlich etwas passiert“.

Dringender als in diesen Tagen dürfte nach dem handelnden, diskutierenden, erklärenden, sich stellenden Politiker nie gefragt worden sein. In der Nacht zum Dienstag ist der erste Bergmann aus Schwäche unter Tage zusammengebrochen. Gerd Meerts, zwischen dreckigen Kartons und Balken auf den Boden der 5 mal 5 Meter durchmessenden Nebenstrecke sitzend, formuliert es am Dienstag morgen so: „Ich würde mich freuen, wenn mal die hohen Politiker hier runterkämen und uns sagen würden, welche Alternative es zur Arbeit auf der Zeche in dieser Region gibt. Ich bin der Meinung, es gibt keine, und deshalb kommt auch keiner.“

Das wird sich am kommenden Sonntag zeigen. Für 10 Uhr hat der Betriebsrat zu einer Belegschaftsversammlung eingeladen. Angefragt haben sie bei Blüm, Töpfer und dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Einert (SPD). Am Dienstag nachmittag lag die Zusage von Einert und die Absage von Blüm vor. Der Arbeitsminister weilt am Sonntag beim Papst in Rom. Wenn es bei der Zusage bleibt, werden die erschöpften Männer von der Sohle 4 bald wieder zu Hause sein. Dann, so Betriebsrat Sonnen, „fahren sie Mittwoch mittag wieder aus“.