: DIE QUANTENLOGIK DES ALLTAGS Von Dr. Erdling
Wenn alle Menschen lernten, in der nicht- aristotelischen Art der Quantenmechanik zu denken, meinte der Semantiker Alfred Korzybski in den dreißiger Jahren, müßte das die Welt so radikal ändern, daß das meiste, was wir „Dummheit“ nennen, und sogar ein Großteil dessen, was wir für „Wahnsinn“ halten, verschwinden würde. All die „unlösbaren“ Probleme wie Krieg, Armut, Ungerechtigkeit würden ihrer Lösung einen großen Schritt näherkommen.
Daß diese Lösungen nach wie vor nicht greifbar sind, könnte vielleicht damit zu tun haben, daß den Menschen nach 2.500 Jahren reiner Vernunft die kaum Jahre alte Quantenlogik einfach nicht in den Kopf will. Wo die dualistische Logik eines Aristoteles nur zwei Klassen von Aussagen, „Wahr“ und „Falsch“, zuläßt und für klare Verhältnisse sorgt, hat die Quantenlogik eine dritte notwendige Kategorie eingeführt: „Unbestimmt“. „Wir haben dem Universum ein ,Vielleicht‘ hinzugefügt“, hat es ein Physiker einmal ausgedrückt. Ein Vielleicht von geradezu revolutionärer Bedeutung— jenseits von Heisenbergs Unschärfe-Prinzip lassen sich seitdem keine sinnvollen Aussagen mehr machen: das reine Entweder-Oder mußte dem verhuschten Sowohl-Als-auch weichen. Ein Photon kann als Teilchen oder als Welle erscheinen, in Zuständen, die sich gegenseitig ausschließen — doch die Verwandlung liegt nicht im Photon selbst begründet, sie hat ihren Ursprung im menschlichen Gehirn — es ist unser Nervensystem, das für die Paradoxa der Quantenmechanik verantwortlich ist. Den Zusammenhang von Gehirn-Software und Quantenmechanik kann die nebenstehende Illustration verdeutlichen, die sowohl eine alte als auch eine junge Frau zeigt und eine fundamentale Entdeckung der Wahrnehmungs- Psychologie dokumentiert: Wahrnehmung ist nicht passive Rezeption, sondern aktive Interpretation von Signalen. Dasselbe Gesetz erscheint in der Quantenmechanik, nach der der Beobachter aus der Beschreibung der Beobachtung nicht ausgeschlossen werden kann. Im unbeobachteten Zustand ist das Photon weder Teilchen noch Welle, sondern unbestimmt — so wie die Illustration im unbeobachteten Zustand weder eine junge noch eine alte Frau darstellt — was ist, entscheidet sich erst, wenn unser Wahrnehmungsapparat Maß nimmt. Dieses einfache Beispiel zeigt, daß die Quantenmechanik keineswegs ein mysteriöses Spezialgebiet abgedrehter Teilchen- Physiker ist, sondern ihre Effekte zum ganz normalen Bestandteil unserer alltäglichen Wahrnehmung gehören. Sowohl das Studium der Wahrnehmung— des Geistes — als auch das Studium der Materie führen dazu, unsere Vorstellung von der Wirklichkeit zu hinterfragen. Ideologien, Religionen, Dogmen behaupten, Antworten darauf zu haben, was Wirklichkeit ist — die Quantenlogik jedoch zeigt, daß es sich bei der Wirklichkeit um ein Multiple-choice-Labyrinth handelt — was ist, entscheidet das Bewußtsein des Beobachters. Dies gilt nicht nur für die junge/alte Frau der Abbildung, sondern für die gesamte Realität unseres Alltags.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen