: Mit den Waffen der Männer
„Thelma & Louise“ — ein Frauenfilm mit Machomitteln ■ Von Michaela Lechner
Ridley Scott (Alien, Blade Runner, Black Rain) versucht sich an der weiblichen Psyche. Und verfilmt das Drehbuch von Callie Khouri (die bislang vor allem Video-Clips produziert hat). Offenbar meint der Regisseur es gut mit seinen Protagonistinnen Thelma und Louise — oberflächlich betrachtet: In 127 Minuten dürfen unterdrückte Hascherl sich in selbstbewußte Frauen verwandeln.
Thelma & Louise spielt im Südwesten der USA, in Arkansas, Oklahoma, New Mexico, wo Mann Cowboyhut trägt und Frau zeitlebens „girl“ bleibt. Thelma und Louise sind Freundinnen und mehr oder weniger ganz normale Frauen. Die infantilisierte Hausfrau Thelma (Geena Davis) steht zwischen geblümten Tapeten im Reihenhaus unter dem Pantoffel ihres stupiden Macho-Ehemanns („Schatz, soll ich dir was zu essen kochen?“). Die Coffee-Shop-Kellnerin Louise (Susan Sarandon) wirkt abgespannt und ist dennoch überaus patent („Wir werden das Kind schon schaukeln“).
Die Freundinnen wollen den Alltagstrott zu Hause lassen und endlich einmal was erleben. Also geht es auf Wochenendtrip. Was eine Viertelstunde lang heiter begann, endet im Desaster. Als der betrunkene Cowboy Harlan versucht, Thelma zu vergewaltigen, wird er von Louise erschossen. Obwohl die beiden Frauen bereits in Sicherheit sind. Louise schießt nicht aus Notwehr, sondern, weil Harlan etwas sagt: „Du Schlampe“ und „Lutsch meinen Schwanz“. Ein Schuß, der sich entlädt. Ein fataler Irrtum? Eine Überreaktion? Die Folge jahrelanger sexueller Belästigungen? Nur zögernd motiviert der Film die Tat, indem er andeutet, daß Louise vor Jahren vergewaltigt wurde.
Als Thelma und Louise fliehen, wird der Film zum Road-Movie mit weiblichen Akteuren. Weil sie keine andere Wahl haben, müssen die Freundinnen improvisieren. Sie lernen, mit dem Colt zu fuchteln, um sich zu nehmen, was sie brauchen. Sie erinnern an ihre filmischen Vorgänger Bonnie und Clyde oder Butch Cassidy and the Sundance Kid. Im Strudel der kleinen Gesetzesübertretungen sind ihnen die Sympathien des Publikums gewiß. Eine gigantische Männer-Maschine setzt sich in Bewegung — Computer, Fangschaltungen, Helikopter, eine Armada Polizeifahrzeuge rollt den Spuren von Thelma und Louise hinterher. Warum der sensible Kommissar (Harvey Keitel) die Frauen versteht und helfen will, bleibt unklar. Aber auch er, der eigentlich und einzig Gute unter den Männern, wird schlußendlich an der Schwerfälligkeit des Apparats scheitern.
Thelma und Louise dürfen dem Männerapparat Schnippchen schlagen. Und sich ein bißchen emanzipieren, indem sie die Ohn-Macht umkehren und qua Waffe Potenz phantasieren. Sie dürfen reagieren, aber nicht agieren. Und den Laster des tumb-sexistischen Truckdrivers in die Luft sprengen. Die Protagonistinnen als Einzelkämpferinnen in Sachen Feminismus? Ein blindwütiger Rachefeldzug des schwachen Geschlechts? Weibliche Selbstverwirklichung über die Aneignung männlichen Rollenverhaltens?
Aus dem Nicht-Zurückkönnen der Freundinnen wird allmählich ein Nicht-Zurückwollen. Die Reise entwickelt sich vordergründig zur existentialistischen Odyssee mit dem Ziel, die immergleiche Einöde des Daseins auf der Strecke zu lassen. Im offenen Metallic-Cabrio durch die weite Landschaft, Haare flattern im Wind, laute Musik, Kettenrauchen — ein Marlboro-Gefühl von Freiheit vor der imposanten Kulisse des „Monument Valley“. Freiheit made in Hollywood? Identitätsfindung qua Klischee?
Thelma & Louise ist geschickt in seiner Uneindeutigkeit. Indem er sich um Antworten drückt, transportiert er Fragen über das Ende des Films hinaus. Thelma & Louise hat in den USA Diskussionen ausgelöst und sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, „männerdiskriminierend“ zu sein. Die Spezies der repräsentierten Männer konzentriert sich in der Tat auf den Typus des großmäulig dumpfen Mackers. Und bebildert und bilanziert so den alltäglichen Sexismus — realistisch wie kaum ein anderer Mainstream-Film.
Thelma & Louise wird gleichzeitig vorgeworfen, „gewaltverherrlichend“ zu sein. Weil Frauen sich mit den Waffen der Männer unblutig durchsetzen? Weil das Konstrukt von der „natürlichen“ Friedfertigkeit der Frau suspendiert wird? Thelma und Louise hinterlassen einen Toten — den Cowboy Harlan. Die 73 Leichen Arnold Schwarzeneggers in Total Recall finden dagegen kaum Beachtung.
Thelma & Louise, Regie: Ridley Scott, mit Geena Davis, Susan Sarandon, Harvey Keitel, USA, 127 Minuten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen