: Der Eeeeeewige und das Schlüsselkind
■ Schnürschuh-Theater probt sein neues Kindermärchen vor Schulkindern
In der zweiten Reihe ziehen sich drei kleine Mädchen die Schuhe aus. Hanuta-Packungen wechseln den Besitzer. Einige Jungs hängen im Gestühl wie der Alte vor der Sportschau, andere recken sich gebannt in die Kulisse: Das Schnürschuh-Theater probt sein neuestes Kinderstück „Anna und der König, der aus dem Märchen fiel“ von Robert Thayenthal (Regie: Sabine Krieglstein). Vor sachkundiger Öffentlichkeit: Eingeladen ist am heutige Mittwoch morgen eine vierte Klasse der Lessing-Schule.
Nicht nur den Kindern zieht's die Schuhe aus. Schuhe spielen in dem Stück eine tragende Rolle. Der kugelrunde kleine König (Reinhard Lippelt) ist 777 Jahre alt und unsterblich. Er haust in einer Bruchbude namens Palast. Bugomil Alexander Napoleon Barbarossa (es folgen ca. 15 weiter Namen), der „Eeeeeewige“, ist längst von allen Märchen und insbesondere Prinzessinnen verlassen worden. Und er hat nie, nie seine Schnallenschuhe ausgezogen, geschweige denn seine Füße gewaschen! Da muß erst das Mädchen von heute, Anna (Corinne Senkbeil) kommen, ein „Schlüsselkind“ wie viele, und den griesgrämig gewordenen, in seinem Rollstuhl/Thron verkümmernden Märchenheld, der einst immerhin Dornröschen küßte, auf die Füße stellen. Schuhe aus (Puuuuh!), Füße waschen, den Kerlhochjagen, zum Lachen bringen: Anna versucht, den König in ihre und unsere Realität zu zerren. Der aber verwickelt sie in seine Märchenwelt, in der ein Prinzessinnenkleid und ein weißer Damenschuh eine Rolle spielen.
Ein spannendes Stück (der König: ein Angstbeißer?); ein phantasievolles Stück (die Grenzen zwischen Realität und Märchen werden systematisch abgebaut); ein lustiges Stück (z.B. der schräge Schubi-dubi-dei-da Tanz der beiden). Den zwanzig Kindern wird, obwohl nur die erste Hälfte gezeigt werden kann, viel geboten.
„Wie Mädchen eben sind: Kaugummi kauen...“
Nach der Unterbrechung an der spannendsten Stelle (der König, schweißgebadet: „Den zweiten Teil können wir noch nicht“) fühlen sich einige Kinder ans Fernsehn erinnert: „Immer an der spannendsten Stelle kommt Werbung.“ Das fanden sie nicht gut. Und schon ist — wie von den Schnürschuhlern erwartet — die schönste Kritik im Gange.
Die Schulkinder haben einen scharfen Blick. „Wie die Anna da vor dem König auf und ab ging,“ sagt ein Junge, „das fand ich albern.“ Affektiertes Gehabe kommt nicht an. Und daß der König mit seiner Lanze immer gegen die Probenraumdecke stieß. Ein Dilemma der Räumlichkeiten im KünstlerHaus am Deich. Zur Geschichte selbst heißt es ganz aufgeklärt: „Das ist ja nicht echt, aber 'ne gute Idee.“
Und dann wird gnadenlos gläsernes Theater gefordert. Hast du in echt so einen dicken Bauch? So graue Haare? Welche Zaubersalbe für die Füße ist das? — Eine Körpercreme. — Oooooch! Sitzen Sie in echt in einem Rollstuhl? Hast du den Stoff wirklich vom Bett abgerissen? — „Klettverschluß!“ kräht ein Knirps.
Meinungen und Fragen kommen von den Jungen. Die Mädchen sind aufmerksam. Extra befragt, ob sie in der „Anna“-Rolle stecken möchten, hält sich ihre Begeisterung in Grenzen: „Jooooooooaah.“ Folgt noch der erleuchtete Kommentar eines Frühreifen: „Anna ist, wie die Mädchen halt sind: Kaugummi kauen...“
Premiere hat das Stück Ende November. Wenn der Eindruck nicht täuschte, sind zwanzig Gäste sicher. Bus
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