: Museum kunstgeschreckt
■ Gedoks völkerkundliche Inszenierungen im Übersee-Museum
Gespenstisches ereignet sich derzeit im Übersee-Museum. Die Bremer Künstlerinnen-Gruppe Gedok ist im Rahmen ihres Projekts „Reise“ vor Eingriffen in die weite Welt beim Hauptbahnhof nicht zurückgeschreckt. Mit dem Einverständnis der verantwortlichen Völkerkundler setzten die Künstlerinnen in die künstliche Welt der Museusinszenierung kritische Akzente zu Tourismus, Völkerwanderung im Jahre 1991 und dem Bild vom Fremden. Susanne Schossig legte eine rote Sandspur im Erdgeschoß um die ausgestellten Hütten. Im ersten Lichthof befrachtete Carola Schapals ein auf dem trockenen liegendes Boot aus der Südsee mit einem Ballen schwarzen Tuchs, darauf ein Totenschädel, und spann das Ganze — unter Mithilfe einer Restauratorin — in dünne weiße Fäden. Man munkelte, der Schädel wecke bei einzelnen Mitarbeitern des Museums leichten Unmut, doch er liegt unberührt an der Stelle, an die ihn die Künstlerin legte. Eindeutiger wird dagegen ihre Gestaltung einer Fläche im ersten Obergeschoß wahrgenommen. Wo normalerweise ein Beduinenzelt aufgebaut ist, das zur Zeit repariert wird, harkte sie den Sand und versah ihn mit dem Hinweisschild: „In Arbeit — Ausgeartet“. Andere Eingriffe in die museale Künstlichkeit weckten deutliche Empörung. Ein Monitor, den Marikke Heinz-Hoek im japanischen Fuchstempel aufstellte, verschwand in der letzten Woche auf mysteriöse Weise, tauchte inzwischen aber wieder auf und fand zurück in den Tempel, wo er bis zum 27.10. zum Nachdenken über den „Dialog“ (Titel) anregt, zwei Profile sehen sich auf der Mattscheibe an.
Umgestoßen wurde Isolde Loocks Anstoß zur Tourismuskritik, zwei aus einem Tempelsee stakende Beine einer Puppe, Titel: „BadEnde, ReisEnde“. Diese Installation hatte bisher bei den BesucherInnen die größte Verwirrung hervorgerufen, was zu Beschwerden beim Aufsichtspersonal führte, das nur etwas verwirrt auf solcherlei zu antworten wußte, daß das wohl Kunst sei. Die inzwischen gar nicht mehr so neue Idee, Museen durch ungewöhnliche zusätzliche Inszenierungen zu hinterfragen, hätten die Künstlerinnen vielleicht mit dem Aufsichtspersonal vor der zweiwöchigen Aktion kurz besprechen sollen, nimmt Dr. Dieter Heintze, Leiter der völkerkundlichen Abteilung, an. Aber dafür war die Zeit zu knapp. Blanken Unwillen einer Geografielehrerin provozierte „Massen kommen- Heimatflucht“ von Carola Schapals im Bambara-Dorf im ersten Stock. In dem nachgebauten afrikanischen Dorf stapeln sich die Koffer. Wessen Koffer? Der Touristen oder der die Hungergebiete fliehenden „Wirtschaftsflüchtlinge“? Was die Geografielehrerin jedoch zur Weißglut gebracht hatte, waren die mit Packpapier eingewickelten Informationstafeln rund um die Hütten. Ihre Unterrichtseinheit platzte. Eine Tafel hängt nun mit einem Riss in der Verpackung da, ein buntes Foto kommt zum Teil noch zum Vorschein und zeigt die weniger idyllische Umgebung des Dorfes an seinem Originalschauplatz. Darunter ein Einkaufsnetz unbekannter Herkunft, vielleicht ein Indiz, das zu dem Packpapierreißer führen könnte? Im Übersee-Museum hat man allerdings wenig Hoffnung, etwaige Installationsstürmer zu ermitteln. Man vermutet sie unter den alltäglichen Besuchern. Eine umfassende Überwachung durch das Personal ist nicht möglich, — solche Maßnahmen wären eine eigene Installation wert: Das Museum als inszenierte Welt eine Überwachungsstaates. Juan
Anzugucken noch bis zum 27.10. im Übersee-Museum
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