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Mit dem Zirkel

■ Das Theater Artaud spielt »Cain«

Ich bin dieser verfügten Kunstwelt nicht verfallen, der Strudel, der Strudel, der aufgehobenen Unbeschwertheit ist mir ins Auge gepflanzt.«

Das Theater Artaud spielt Kain/ Cain in der Kirche. Doch anstatt einer blut- und pestgeschwängerten Mythostümelei gibt es in der Thomas-Kirche am Kreuzberger Mariannenplatz eine überraschend sauber mit dem Zirkel ausgemessene Demonstration musikalischer und szenischer Elemente.

Eine Frau wechselt beständig den Ort, fährt mit einem riesigen Scheinwerfer in alle Windrichtungen, schaut auf eine Stopuhr, zerschlägt regelmäßig Weingläser und ritzt sich mit einer Scherbe den Unterarm, so daß recht malerisch Blut herausfließt: Die Zeremonie einer Blutsbruderschaft mit sich selbst, mit dem Tod und mit der sakralen Atmosphäre des Raumes; nur durch die exakte Wiederholung in den Mythos gestellt.

Zwei schwarz gekleidete Männer — gewiß das bliblische Bruderpaar — jagen durch den halligen Raum und treiben improvisierte Spiele. Abel verläßt sich dabei ganz auf Kain, schließt die Augen und folgt dem Pfeifton seines Bruders: ein verhängnisvolles Spiel mit der Abhängigkeit, und wir wissen, wie das endet und erwarten Schreckliches. Doch irgendwann sitzt Abel dann einfach wie tot auf dem Stuhl und Kain liegt wie traumatisch versteinert auf dem kalten Boden.

Später stehen beide wieder auf, um auf einem allmählich mit Tesa- Streifen zergliederten Podium Gesten auszutauschen. Im Programmzettel steht dazu, sie sehen Zeichen einer eigenen Sprache und »die Sequenzen werden als eine Art Wörterbuch genutzt, woraus die Akteure schöpfen. Die Kommunizierbarkeit von Gesten wird geprüft.«

Die von Susanne Husemann konzipierte Aktion Cain kommt ganz unaufdringlich daher, wie ein leiser Kontrapunkt zu dem wilden Triebgeschrei der zuschauerbedrohenden Aktionismen, die andernorts gern betrieben werden.

Die von einer Toncollage unaufgeregt begleitete Szenenfolge wirkt dabei wie eine Vorübung, etwas fragmentarisch, gibt aber dem Gewillten duchaus die Möglichkeit zu meditativer Ruhe. Ein Versuch, die schlafende Wirklichkeit der ruinösen Kirche herauszufordern und mit Mitteln einfacher szenischer Abläufe eine eigene, künstliche Realität zu schaffen.

Der Zuschauer steht dabei herum, und wenn er den Mut nicht aufbringt, während der Darbietung durch den Raum zu streifen, wird er manche verwinkelte Perspektive auf das Geschehen verpassen und zudem riskieren, in der erbärmlichen Kälte des Raumes zu erstarren. baal

Weitere Vorstellungen heute und morgen 20 Uhr, Thomaskirche Mariannenplatz, 1/36

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