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Manchmal bin ich kurz davor

■ Das Theatre du Pain spielt »Butzbacher & Brommelmeier auf Korsika« im Mehringhof

Korsika, eine Insel: »Eines Abends, beim Abstieg von der Oberstadt Bonifacios über eine steile Felstreppe erblickte Butzbacher unten an den Kais einen Sänger. Der erzählte Butzbacher, daß er sich in eine schöne Italienerin verliebt habe, weil sie ihn an jemanden erinnere, der noch schöneres, schwarzes Haar besäße. Dann erzählte er, daß er mit der Fähre von La Spezia gekommen und sein Name Brommelmeier sei. In der folgenden Nacht standen sie vor der Bar Nicoise und sangen. Eine Freundschaft begann. Sie teilten das Zimmer, und sie teilten bald brüderlich die Einsamkeit...«

Hans Brommelmeier ist nicht Hans Brommelmeier, sondern bürgerlich Rupert von Durchstadt, ein Sohn verarmter Landadeliger aus der Linie der Welfen. Karl Butzbacher dagegen ist der, der er ist — zumindest im Stück —, lernte dafür erst viel später sprechen und machte wie Butzbacher schon früh Bekanntschaft mit der Tragik des Lebens. Gemeinsam leben sie nun seit einigen Jahren auf der trotzigen Insel im Mittelmeer Korsika, der unvollendete Student der Philosophie und der abgemusterte Küchenjunge, verdingen sich als Bänkelsänger und Chanteure, besteigen pinienbewachsene Uferhänge und geben sich in der sengenden Sonne des Mittelmeers bewußten und unbewußten Ahnungen hin.

Wer sich angesichts dieser vagen Ausgangssituation vom dieser Tage im Mehringhoftheater gastierenden »Theatre du pain« zeitkritisches Akut-Polit-Kabarett erwartet, sieht sich zwar theoretisch im Recht — schließlich wird das Ganze als »Abenteuer Kabarett« angekündigt — wird aber zwangsläufig und glücklicherweise enttäuscht. Denn im Vergleich zu der Flut von Zeitgeist- und Provinzpolitkabarett wirkt das Theatre du pain wohltuend anders, ist Butzbacher & Brommelmeier auf Korsika Satire von ganz, ganz rückwärtig. Als reiche die sonst übliche Verfremdung der Verfremdung noch immer nicht aus, die Fabulierlust und Phantasiegier von Hans König und Martin Pollkläsener zu befriedigen, erzählen die beiden, unterstüzt von zwei alternierend hinzutretenden Erzählern (Janine Jaeggi und Michael Pundt) und einer heruntergekommenen Westerngitarre, in dreißig kleinen Un- Sinneinheiten und mit wenigen Liedern mindestens hunderdreißigtausend kleine Geschichten. Die beginnen mal episch breit und wunderbar sprachverliebt — »Hier geht der Wind selbst sachte« — dann wieder donnernd direkt: »Butzbacher und Brommelmeier treffen den Tod auf der Avenue Fesch« oder auch schon mal gar nicht.

Dabei tun Brommelmeier und Butzmacher auf der weitgehend leeren Bühne stets ausschließlich das, was die Geschichte gerade sowieso erzählt. Und doch sind sie in ihren Gedanken und Taten uneingeschränkt anarchistisch und frei. Sprechen aus Prinzip nur schmale Sätze, erklären sich dafür in gestischen und mimischen Ausdrücken, die an Vielfalt und Präzision selbst jene schon anstrengend dichten Erzähltexte in den Schatten stellen. Die beiden bringen holländische Yachten mit einem Blick zum Kentern und geilen sich — Oh Wunder — an alten Autohandbüchern auf. Sie forschen nach einem Wort, dem nichts folgt, und wiegen sich noch im Walzerschritt, dem Sturm trotzend, als eine mannshohe Flutwelle bereits einen Walfisch durch die Szene schleudert und sich Erzähler Michael Pundt wider aller Pflichterfüllung schon anschickt, die Bühne kopflos zu räumen. Überhaupt: Michael Pundt! Mit seiner zugleich eingängigen und doch so variationsreichen Hörfunksprecher- Stimme erweckt er die abenteuerlichen Texte von Hans König erst so richtig zum Leben. Hat man sich nämlich einmal darauf eingelassen, daß hier und heute nichts so ist, wie es scheint, daß die Regeln aristotelischer Logik genausowenig gelten, wie das Gesetz von Ende und Anfang, dann kann man sich dem akustischen Erzählgebilde Pundtscher Sprachmodulation und jener Imaginationskraft hingeben, die jedes weitere Fragen nach Sinn und Verstand obsolet werden läßt. Im Verhältnis zu ihm muß Janine Jaeggi, ihrer Profession nach eigentlich Tänzerin und Akteurin, unverdient blaß bleiben. Dabei bewältigt auch sie ihre Wortflut mit Akuratesse, aber leider nicht mit dieser außergewöhnlichen Empathie, mit der Kollege Pundt die Nonsens- Geschichten zu bebilderter Poesie erhebt.

Es gehört wohl zur kalkulierten Wirkungsweise von Butzbacher & Brommelmeier, daß sich das Publikum — ein wenig überrascht und verunsichert von dem Dargebotenen — in immer neue Interessens- und Lachgemeinschaften zusammenschließt. Meinte ich eben noch selbst, gemeinsam mit einer Dame zwei Reihen hinter mir, einmal eine gebräuchliche Pointe gesichtet zu haben, blicke ich im darauffolgenden Minidrama 23 schon irritiert zu meinem Nachbar zur Rechten, der so herzhaft lachen kann, was mir nur die Runzeln in die Stirn treibt. Nix Genaues weiß man nicht. Vagheit und Wagemut gehört schon dazu, will man Butzbacher und Brommelmeier auf ihren korischen Pfaden begleiten. Wer sich aber im allgemeinen auf die Hingabe der Phantasie versteht, keinen roten Faden benötigt, um gewohnheitsmäßig jedes dargebrachte intellektuelle Schauvergnügen festzuknoten, wem es genügt, hin und wieder kurz vor dem endgültigen Verständnis angelangt zu sein, der kann sich an den dreißig Mikrodramen des Theatre du pain wahrlich ergötzen. Kann sich berauschen lassen von soviel Sprachkunst, Schaufertigkeit und dem unbändigen Willen zum Überleben der Phantasie. Viva! Klaudia Brunst

Mehringhof-Theater, Gneisenaustr.2, 1/61, bis 3.11. Mi-So jeweils 21 Uhr

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