: Nur der Traktor tuckert noch
Überlegener Auftritt des SC Schwerin bei den Deutschen Amateur-Boxmeisterschaften: Durch die finanzielle Hilfe eines Sponsors gelingt es dem Klub, seine Akteure in Schwerin zu halten. ■ Aus Köln Thomas Lötz
Nun hat es sie also auch im Amateurboxen gegeben, die ersten gesamtdeutschen Meisterschaften. Und so konnten die Kämpfer aus Gera, Halle und Schwerin für das, was sie bisher als „drüben“ bezeichnet hatten, jetzt auch „hier“ sagen. Mit diesem Wechsel auf Wortebene sind aber, wie derzeit im wiedervereinigten Sport überhaupt, nicht gleich auch alle Probleme beseitigt.
Das Zwischenmenschliche, das wird allerorten betont, das sei schon in Ordnung: „Im allgemeinen haben wir Boxer ein gutes Verhältnis miteinander, menschlich gibt es keine Probleme.“ So faßt der alte und neue Deutsche Meister im Mittelgewicht, Sven Ottke, (ehemals Westberlin, jetzt Gesamtberlin) das Boxen nach der Wiedervereinugung zusammen.
Sportlich hat die Randsportart Boxen durch die Kämpfer, Trainer und das staatlich gestützte Förderungssystem der alten DDR ohnehin nur profititeren können. So stammen acht der zwölf Deutschen Meister 1991 aus dem Ostteil Deutschlands. Doch die wirtschaftliche Situation der Vereine und Landesverbände in der „DDR“ ist es, die in dieser allgemeinen Harmonie für Dissonanzen sorgt.
Die große Ausnahme stellt der Schweriner SC (ehemals SC Traktor Schwerin) dar, der unter dem Genossen Honecker bereits Serienproduzent von Titeln und Medaillen — daheim wie auch auf internationaler Ebene — war. Das das so ist und weiter sein kann, dafür sorgt nun ein Mann aus der „alten“ BRD. Hans- Peter Siemons, Hotelier aus Lübeck, buttert etliche Groschen in den Verein aus Mecklenburg-Vorpommern — mit Erfolg. Noch nie in der Geschichte der Deutschen Amateur- Boxmeisterschaften gelang es einem Verein, gleich zwei Finalkämpfe als interne Klubmeisterschaften zu gestalten. Bei den 69. Deutschen Meisterschaften in Köln wurde dieser stille Rekord gebrochen — vom Schweriner SC.
Um ein Haar jedoch, oder besser gesagt um ein Paar Mark, hätten die Schweriner gar nicht erst Handschuhe und Kopfschutz in ihre Sporttaschen packen müssen. Geld für die Reise an den Rhein war nämlich keins vorhanden. Der für solche Unternehmungen zuständige Landesverband ist schon lange pleite, und erst eine erhebliche Finanzspritze des Landes Mecklenburg-Vorpommern ermöglichte es dann, drei gesamtdeutsche Meistertitel in den Nordosten zu entführen.
So, wie es dem Mecklenburgischen Verband ergeht, so geht es den meisten Boxvereinen in der ehemaligen DDR. „ABM“, das ist in den neuen Bundesländern im Osten nicht irgendein Zauberkürzel, das Anlaß zum Kniefall gäbe. Nein, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, das ist die Realität, mit der sich der Sport von Stralsund bis Chemnitz fürs erste abzufinden hat. Die meisten Trainer und Funktionäre sind auf dieser wackligen Basis angestellt. Der Wegfall großzügiger staatlicher Subventionen läßt ein riesiges, nicht auszufüllendes Vakuum entstehen.
Viele der Aktiven haben sich bereits vom Boxen im Osten verabschiedet. Einige, wie die neuen Deutschen Meister Andreas Otto, Jan Quast und Jörg Heidenreich, sind zu westdeutschen Vereinen gewechselt. Andere, zumeist erfolglosere, haben den Ring für immer verlassen. Denjenigen aber, die übriggeblieben sind, bleibt, solange sie nicht für den Schweriner SC die Fäuste schwingen, nur Hoffnung. Der Geraer Fliegengewichtler Mario Loch, Vizemeister 1991, gibt diesem Fatalismus Ausdruck: „Meine Perspektive ist mit der Entwicklung des Boxens im Osten verbunden. Wenn die das in den Griff kriegen, okay. Wenn nicht, dann...“
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