Verfassungsschutz- Skandal in Brandenburg

■ Kölner Bundesamt munitioniert Koalitionspartner FDP

Berlin (taz) — Das Bundesland Brandenburg hat zwar noch keinen funktionierenden Verfassungsschutz, aber mit der tatkräftigen Hilfe des Kölner Bundesamtes bereits den ersten handfesten Geheimdienstskandal. Im ampelregierten Potsdam hat sich der Koalitionspartner FDP mit Unterlagen der Kölner Behörde munitionieren lassen — um damit den Kandidaten von Bündnis 90 für das Amt des Landesdatenschutzbeauftragten abzuschießen.

Der Vorgang, der fatal an die Ausforschung und Diffamierung von Abgeordneten der Grünen Mitte der 80er Jahre erinnert, nahm seinen Anfang am 11. Oktober: Am Rande einer Veranstaltung in Berlin fragte die Potsdamer FDP-Sicherheitspolitikerin Rosemarie Fuchs den Präsidenten des Kölner Verfassungsschutzamtes, Eckart Werthebach, ob nicht möglicherweise Informationen über den früheren Abgeordneten der Grünen im Stuttgarter Landtag, Thilo Weichert, vorlägen. Nachdem sich die Koalition in Brandenburg vor wenigen Wochen darauf verständigt hatte, das Amt des Datenschutzbeauftragten mit einem Mitglied der Bürgerbewegung zu besetzen, war der 36jährige Jurist vom Bündnis als Kandidat vorgeschlagen und nach einer Anhörung von der SPD akzeptiert worden. Weichert ist derzeit Vizechef im gemeinsamen Ausschuß der Neuländer für ein Stasi-Unterlagen-Gesetz und Mitarbeiter von Bündnis 90/Grüne im sächsischen Landtag. Auch die FDP hatte ursprünglich eine Zusage signalisiert.

Nur vier Tage nach der Anfrage ließ Kölns oberster Verfassungsschützer der Liberalen Fuchs ein 25seitiges Dossier zukommen, mit der Erkenntnis, Weichert verfolge möglicherweise linksextremistische Bestrebungen. Vorgehalten werden ihm darin Auszüge aus seinen Landtagsreden, neben der Teilnahme an Blockaden von Giftgas- Standorten soll er im Zusammenhang mit einem Hungerstreik der RAF-Gefangenen versucht haben, eine Solidaritätsgruppe zu initiieren.

Den Potsdamer Behörden schien Werthebach zur Übermittlung seiner vertraulichen Depesche nicht recht trauen zu wollen: Die Unterlagen wurden an das Landesamt in Berlin via Fax übermittelt — von dort aus wurden sie per Kurier der Auftraggeberin überbracht.

Die Übermittlung der Verfassungsschutzunterlagen wird von den Beteiligten nicht geleugnet — im Gegenteil, sie wird gerechtfertigt. Während SPD und Bündnis 90 an ihrem Kandidaten festhalten und als Konsequenz den Rücktritt von Werthebach verlangen, trat die Behörde selbst die Flucht nach vorne an. In einer Stellungnahme beteuert das Bundesamt, es sei nur „offen“ zugängliches Material verschickt worden. Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei die Behörde darüber hinaus ermächtigt, an öffentliche Stellen auch personenbezogene Daten weiterzuleiten. Die Abgeordnete Fuchs verschanzte sich hinter dem Argument, sie sei als stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses zu ihrem Auskunftsersuchen berechtigt. Weil aber der Datenschutzbeauftragte vom Landtag eingesetzt wird, hätten Erkenntnisse — wenn überhaupt— nur an den Landtagspräsidenten übermittelt werden dürfen, halten SPD und Bündnis 90 dagegen. Die Übermittlung an eine „Privatperson“ halten sie für „rechtswidrig“. Die innenpolitische Sprecherin von Bündnis 90/Grüne, Ingrid Köppe, will die Vorgänge nun im Bundestag zur Sprache bringen.

Unterstützung erhält die FPD- Politikerin Fuchs inzwischen aus den Reihen der CDU-Opposition im Landtag. Die Sichtweise von Pressesprecher Thomas Roloff: „Die Frage ist doch nicht, wie die FDP an die Unterlagen gekommen ist, sondern ob ein Mann wie Weichert als Datenschutzbeauftragter tragbar ist.“ Von einem Skandal könne dann nur geredet werden, wenn die SPD an dem Bündnis-90- Kandidaten festhalten wolle.

Thilo Weichert hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als teilweise falsch und ihm unbekannt zurückgewiesen. Der 36jährige Jurist, der nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber dem Verfassungsschutz gemacht hat, vermutet, daß der Verfassungsschutz einen ausgewiesenen Kritiker als Datenschutzbeauftragten verhindern will. Zweifel an seiner Verfassungstreue dürften weniger das Motiv sein: So hat das für Weichert zuständige Stuttgarter Landesamt bereits am 18. Februar mitgeteilt, es gebe keine Unterlagen, die ein Eintreten Weicherts für die freiheitlich-rechtliche Grundordnung in Frage stellten. Wolfgang Gast