Reisebericht Albanien/Kosovo 2019: Bauboom und Bunker

Helga Guthmann reiste im Spätsommer 2019 mit der taz nach Albanien und ins Kosovo und lernte zwei sehr unterschiedliche Länder kennen.

Ein erhaltener 1-2 Personenbunker im südalban. Saranda. Viele wurden gesprengt, etliche dienen heute als Toilette u.a. Einige sind heute Denkmal oder Museum. Bild: Helga Guthmann

„Wenn ich eines hier gelernt habe, dann dass man durch Bauen definitiv auch Zerstören kann“, meinte eine Teilnehmerin am Ende der Reise. – 10 Tage lang entdeckten wir als taz-Reisegruppe sowohl Kosovo, den jüngsten Staat Europas, als auch Albanien, seinen älteren Nachbarn. 2 Länder, die zwar eine gemeinsame Sprache, aber eine unterschiedliche Geschichte haben.

Kosovo hat etwa 40 Jahre als Teilrepublik im weltoffenen Jugoslawien verbracht, wohingegen die Bevölkerung Albaniens zeitgleich unter dem stalinistischen Regime Enver Hoxhas litt, welches das Land nahezu komplett von der Welt isolierte. Aus dieser Zeit ist Albanien überzogen mit hunderttausenden von Ein- und Mehrpersonenbunkern. Und während sich der eine Staat, nämlich Albanien, in den1990iger Jahren langsam öffnete, begann im anderen, noch-nicht-Staat Kosovo ein zermürbender 10jähriger Bürgerkrieg, der in dem ersten NATO-Einsatz unter deutscher Beteiligung nach dem 2. Weltkrieg gipfelte.

Reiseauftakt: Kosovo

Im Jahr 2008, nach Krieg und UN-Protektorat, erklärte sich Kosovo für unabhängig. Der jüngste Staat Europas ist doppelt jung: Nahezu die Hälfte der 1,8 Millionen Einwohner*innen ist unter 25 Jahre alt. Kein Wunder, dass hier allerorten wie versessen gebaut wird. Jeder noch so kleine Flecken Land wird zersiedelt. Uns fallen einzelne, identisch gebaute Häuser auf – von Brüdern, meist Exil-Kosovaren, erläutert uns Erich Rathfelder, unser Reiseleiter und taz-Korrespondent. Viel Geld, das hier investiert wird, kommt aus dem Exil.

Straßenszene in Prishtina Bild: Michael Schulte

Mittlerweile ist Kosovo mit seiner Bevölkerungsdichte in der Mitte Europas angekommen. Sonst allerdings noch nicht. EU-Beitritt und Visumsfreiheit lassen auf sich warten. Sehr zum Missfallen der Menschen im Kosovo. „Alle Staaten um uns herum dürfen visumsfrei reisen, warum wir nicht?“, das hören wir immer wieder. Und die Journalistin Evljana Berani erklärt uns, wie schwierig es ist, wenn sie auf eine Tagung nach Europa fahren möchte. Die Gespräche, und die interessanten Gesprächspartner*innen, das ist im Grunde das Spannendste an den taz-Reisen. Wir diskutieren über Bildung und Gesundheit im Kosovo mit einer Uni-Professorin. Dabei stehen wir im verlassenen und hoffnungslos veralteten Lesesaal der Uni-Bibliothek von Prishtina („Die meisten lesen mittlerweile online“).

Und dann kommt beim Mittagessen ihr Mann, der stellvertretende Außenminister Kosovos zufällig vorbeigeschneit. Er macht sofort ein Gruppenfoto mit uns. Ist eben ein kleines Land. Und eine beschauliche Hauptstadt mit weniger als 300.000 Einwohner*innen – von denen allerdings scheinbar alle Autofahren. Aber mit dem Bau des neuen Autobahnzubringers sei es schon viel besser geworden, versichert uns Erich Rathfelder.

Unsere weiteren Stationen sind noch beschaulicher, da kommt uns Prishtina direkt schon wie eine Metropole vor. Wir besuchen die geteilte Stadt Mitrovica. Geteilt ist sie zwischen Serb*innen und Albaner*innen – und irgendwo am Rand befindet sich die Roma-Community. Zu Abend essen wir in der serbischen Exklave Gračanica, in der übrigens auch einige Albaner*innen wohnen. Zumindest das zwischenmenschliche Verhältnis zwischen den beiden Volksgruppen scheint sich also entspannt zu haben – was man von den beiden Staaten Serbien und Kosovo leider nicht behaupten kann. Unsere lokalen Gesprächspartner*innen diskutieren immer wieder den folgenden Aufreger: Kosovo hat einen 100-Prozent-Zoll auf serbische Waren verhängt – als Reaktion auf die von Serbien gefeierte Nicht-Aufnahme von Kosovo in die internationale Polizeiorganisation Interpol Ende 2018.

Passend dazu erhält ein paar Tage später unsere kosovarische Co-Reiseleiterin Nita Hassani eine Nachricht aus Prishtina: Bei einer Schießerei seien drei Menschen zu Tode gekommen. Möglicherweise sei es um unklare Besitzstände gegangen. Das ist ein großes Problem im Kosovo. Viele wissen nicht, wem was gehört. Die Katasterunterlagen sind nämlich seit den 1990iger Jahren in der Hand der serbischen Regierung. Unsere Gesprächpartner*innen erzählen, es gäbe Personen, die sogar ihr eigenes Haus mehrmals hätten aufkaufen müssen.

Idylle am Fluss: Prizren, das "Heidelberg des Kosovo". Bemerkenswerte Streetart: kaum ein Baum, der ohne Häkelgewand auskommt Bild: Helga Guthmann

Ein Aha-Erlebnis für uns ist Prizren, sozusagen die kulturelle Hauptstadt des Kosovo. Hier findet jedes Jahr ein Dokumentarfilm-Festival statt. Das verleiht der Stadt internationales Flair. Insgesamt wirkt Prizren wie das „Heidelberg des Kosovo“ mit seiner pittoresken Altstadt, dem schmucken Flussufer und der Burgruine oben auf dem Berg. Allerdings auch hier allgegen-wärtig: das lebensgefährliche Kabelgewirr, mit dem der Strom von Haus zu Haus verteilt wird.

Von Kosovo nach Albanien

Von Prizren aus fahren wir auf der schicken Autobahn ins Nachbarland Albanien. Hier kassiert ein privates Unternehmen Maut. Willkommen im Land der umstrittenen Public-Private-Partnership- Projekte. Bei Protesten gegen die Maut kam es schon zu Verletzten. Unsere erste Station in Albanien ist die Hauptstadt Tirana. Beim Aussteigen aus dem Bus erleiden einzelne Reiseteilnehmer*innen fast einen Kulturschock: Tirana fühlt sich an wie eine x-beliebige Hauptstadt von Europa. Es fehlt nur die größte der Fast-Food-Ketten. Die kleineren sind aber schon da.

Der Skanderbeg-Platz in Tirana Bild: Andreas Müller

Gleich nach dem Frischmachen im Hotel treffen wir auf unsere wohl spannendste Gesprächs-partnerin: Gresa Hasa. Die junge, energiegeladene Frau ist Teil der Organizata Politike, der neuen linken Bewegung in Albanien. Letztes Jahr im Dezember hat diese Organisation landesweit etwa 15.000 Studierende zu mehreren Großdemonstrationen mobilisiert. Es war der größte, nicht von Parteien organisiert Protest, den Albanien seit dem Umsturz in den 1990iger Jahren erlebt hat. Er richtete sich gegen eine geplante Bildungsreform der albanischen Regierung. Diese sah eine Erhöhung von Studiengebühren und eine Teilprivatisierung der Hochschulbildung vor. Allein in Tirana sollen es 10.000 demonstrierende Student*innen gewesen sein,so der Vertreter der deutschen Botschaft.

Und der Protest zeigte Wirkung: Die Studiengebühren wurden um die Hälfte gesenkt, es wurde ein umfangreiches Stipendienprogramm aufgelegt und die Unis starteten eine Transparenz-Offensive, was die finanziellen Mittel angeht. – Die Organizata Politike geht aber weit über Studi-Proteste hinaus. Gresa Hasa erzählt uns von neu gegründeten Gewerkschaften für die berüchtigten albanischen Callcenter, und von den schlechten Arbeitsbedingungen in den lokalen Bergwerken und Textilfabriken. Sie erzählt von der Artikulation feministischer Themen mittels Minirock-Demos und der Zusammenarbeit mit der albanischen LGBT-Community und den Roma. Gresa Hasa sieht sich selbst als „Weltbürgerin“ und sagt: „Jede Politik, die Geld über den Menschen stellt, ist das Problem.“ Die Reisegruppe ist begeistert. Endlich eine junge Frau, die Mut macht. Viele fühlen sich an die 68iger Bewegung erinnert. Wir taufen sie insgeheim „Greta“.

Etwas weniger Elan, aber viel Fachwissen und Nachdruck zeigt Olsi Nika, unser Gesprächspartner von der Umweltorganisation Eco Albania. Von ihm lernen wir zwei wichtige Dinge: 1. Die Balkan-Flüsse sind die naturbelassensten Europas(zumindest was das Flussbett angeht). 2. Wasserkraft ist mitnichten ökologisch.

Transparent der Theaterbesetzer*innen (Allianz zum Schutz des Theaters): "Ein Kulturdenkmal wird vom Volk geschützt" Bild: Helga Guthmann

Zu einer spontanen Begegnung kommt es während der Stadtführung durch Tirana. Aus den Artikeln, die uns taz-Reisen vorab hat zukommen lassen, wissen wir, dass das albanische Nationaltheater in Tirana derzeit besetzt ist. Wir lotsen unsere Stadtführerin zu den Theaterleuten und lassen uns von ihr übersetzen. Als erstes sind wir erstaunt, dass die Besetzer*innen draußen, und nicht drinnen sitzen. Kein klassischer Häuserkampf also. Die Geschichte ist auch reichlich kompliziert: Die Regierung hat zuerst 2017 den Denkmalschutz fürs Nationaltheater aufheben lassen. Dann hat sie Ende 2018 ein Sondergesetz verabschiedet, das privaten Investoren Zugang ohne Ausschreibung ermöglicht. Nun möchte sie es einem Privatunternehmen ermöglichen, auf dem Gelände (in bester Innenstadt-lage) Hochhäuser und ein Einkaufs-zentrum zu bauen. Dafür soll das Unternehmen im Gegenzug ein modernes Theater bauen, an die gleiche Stelle. Gegen das Public-Private-Partnership-Projekt formierte sich Widerstand. Eine „Allianz zum Schutz des Theaters“ möchte das Kulturdenkmal erhalten. Sie wirft der Regierung „Diebstahl an der Öffentlichkeit“ und kriminelle Machen-schaften vor. Der Konflikt ist seit Ende Juli dermaßen eskaliert, dass das Gebäude Tag und Nacht von Aktivist*innen bewacht wird. Jeden Abend gibt es eine gut besuchte Kundgebung vor Ort.

Das schöne Berat, UNESCO-Weltkulturerbe Bild: Helga Gutmann

Aus der Hauptstadt nach Gjirokastra und Berat

Nach der Metropole Tirana, wird es für uns wieder ein paar Nummern kleiner. Wir besuchen Gjirokastra und Berat, zwei Städte die UNESCO-Weltkulturerbe sind. Berat hat, nebenbei bemerkt, die höchste Partisan*innen-Denkmaldichte Albaniens – 350 an der Zahl. Die Partisan*innen haben gegen die italienische und deutsche Besatzung Albaniens im 2. Weltkrieg gekämpft. Übrigens hier ein interessanter Nebenaspekt: In Albanien lebten nach dem 2. Weltkrieg mehr jüdische Menschen als vorher. Ihre Zahl stieg von 200 auf 2000. Das verdanken sie mutigen Albaner*innen, die sie versteckten, adoptierten, mit albanischen Namen versahen oder anderweitig deckten. Ein kleines, privates jüdisches Museum in Berat zeugt davon. Hier hat ein Reiseteilnehmer seine persönliche Mission gefunden: Er wollte sich bei einem Mitglied von so einer mutigen Familie bedanken – als Nachkomme der Täternation sei er sich das schuldig. Diese Mission hat er noch vor seiner Heimreise erfüllt.