In Kyritz schäumt nicht nur die Milch

■ Müller-Milch und der italienische Milchkonzern Parmalat kämpfen um die Brandenburger Milchkühe/ Landesregierung favorisiert Müller, die Bauern sind mehrheitlich für die Italiener

Parma/Kyritz. „Schlechte Karten für Müller«, sagen die Kyritzer Milchbauern. »Sollte die Landesregierung den bauen lassen, verliert sie das Gesicht.« Es geht um eine neue Großmolkerei im Norden Brandenburgs. Die Kontrahenten: der bayerische Milchriese »Müller« und der norditalienische Nahrungsmittelkonzern »Parmalat«. Müller konnte zwar zwei Molkereien aus dem einstigen Fünferverbund der Italiener in Brandenburg abwerben, hat damit aber nur ein Viertel der Erzeuger und ein Drittel des Milchaufkommens der Region hinter sich und nach Meinung der empörten Mehrheit »keinen einzigen gültigen Liefervertrag in der Tasche«.

Nun schon seit Herbst letzten Jahres wird auf Brandenburgs Boden ein harter Kampf um Märkte und Produktion ausgefochten. 65 Millionen Mark Fördermittel von Land, Bund und EG sollen dem zufließen, der den endgültigen Zuschlag für eine bis zu 130 Millionen Mark teure Molkerei erhält, die rund 200.000 Tonnen Milch im Jahr verarbeitet. Ohne diese Investspritze bauen weder die Bayern noch die Italiener.

Das Agrarministerium in Potsdam favorisiert seit Mitte April Müller wegen dessen sichtlichem Marktvorteil in Deutschland. »Wer den Markt hat, hat die Produktion«, wird im Hause Edwin Zimmermanns allseits betont. Egal, wo Müller baue und was er dort herstelle, urteilte Markstruktur-Chef Christian Boron kürzlich, sei der »Absatz so gut wie sicher.« Die Italiener aber hätten mit ihrer einzigen deutschen Molkerei im bayerischen Weißenhorn kaum ein Prozent Marktanteil und keinen Milch-Markenartikel in deutschen Geschäften.

Darüber schäumt bei der Parmalat Molkereigesellschaft Brandenburg nicht nur die Milch. Die hier mit je 15 Prozent beteiligten Verarbeitungsbetriebe Kyritz, Pritzwalk und Zehdenick und ihre 110 Lieferanten werfen der Landesregierung vor, nur den engen deutschen Markt bei ihrer Mai-Vorentscheidung zugunsten von Müller zu sehen. Sie haben sich längst auf Europa orientiert und führen als Vorteil ins Feld, was dem Ministerium als Nachteil erscheint — den Milchexport. Es könne nur gut sein, wenn die brandenburgische Milchproduktion außer Landes abgesetzt wird, meint Hermann Reichel, Geschäftsführer der Genossenschaft Zehdenick, die schon jetzt 70 bis 80 Prozent ihrer Produktion unter den Firmennamen »parmalat« und »bonlat« — beides Parmalat-Gruppe — als H-Milch nach Italien liefert. In Zehdenick installierte Parmalat im März seine 101. H-Milch-Linie. Eine zweite kommt Anfang November und mit der dritten im Dezember soll der H-Milch-Export nach Portugal anlaufen.

Reichel ist auch Geschäftsführer der Parmalat-Gesellschaft in Brandenburg, an der die Italiener mit 55 Prozent beteiligt sind. Für ihn zieht das Argument des Ministeriums nicht, Parmalat bringe dem Land keine Steuern. Auch wenn die Italiener die Molkerei nicht bauen, argumentiert er, rüsten sie die bestehenden doch seit Monaten technisch ständig weiter auf und garantieren die Produktion vor Ort in Brandenburg.

Vor Ort in Norditalien konnten sich jetzt 72 Milcherzeuger Nordbrandenburgs persönlich davon überzeugen. Bei einem Besuch der Parmalat-Großmolkerei in Collecchio und einer Bäckerei bei Como wurden ihnen weitere Modernisierungen in Aussicht gestellt. Demnach wird in Pritzwalk Milch künftig statt in Flaschen in Tetra-Rex-Kartons abgefüllt. Die Italiener installieren zudem einen Verdampfer, der Milch durch Konzentration auf ein Viertel des ursprünglichen Volumens handels- und transportfähig macht. Im ersten Quartal 1992 kommt ein Sprühturm dazu, in dem alle Sorten Milchpulver herstellbar sind. In drei bis vier Jahren sollen dort auch Desserts vom Band laufen.

Parmalat präsentierte in Collecchio bei Parma einen hochgradig automatisierten Betrieb, der zwei Millionen Liter Milch am Tag verarbeitet. Parmalat stellt 74 Artikel her, neben Milchprodukten vor allem Backwaren, Fruchtsäfte, Obst- und Gemüseerzeugnisse sowie Suppen. Der Jahresumsatz 1990 betrug rund 1,5 Milliarden Mark. Zwölf italienische Betriebe gehören zur Gruppe, dazu Unternehmen unter anderem in Deutschland, Frankreich, den USA, Holland, Brasilien und der Sowjetunion.

»Überall dort, wo wir eingestiegen sind, sind wir geblieben«, erklärte Vicepräsident Gianni Tanzi in Parma selbstbewußt. Sein Unternehmen hat den brandenburgischen Milcherzeugern Dreijahresverträge bei regionalen Marktpreisen geboten und die Option auf dreimalige Verlängerung um je drei Jahre. Kein Grund für die Bauern also, die Fronten in Richtung Müller zu wechseln. Sie haben vielmehr den Eindruck, daß die bayerische Allianz bröckelt. Immerhin waren »abtrünnige« Wittstocker mitgekommen, und einer sagte es deutlich: »Ich habe die Hoffnung, daß wir früher oder später den einstigen Verbund wieder auf die Beine bringen.« Rainer Plagemann/adn