: »Gysi hat mich unter Druck gesetzt«
■ Andre Brie über seinen neuen Zweitjob als Berliner PDS-Chef/ Bisherige Strategiedebatte der Berliner PDS ist »unreif«/ Verhalten der PDS-Fraktion im Fall Dirk Schneider fand Brie falsch
Berlin. Die Berliner PDS wählte am späten Sonntag abend, wie erwartet, den 41jährigen Andre Brie mit 199 von 221 Stimmen zu ihrem neuen Landesvorsitzenden. Mit 156 Stimmen zum Landesgeschäftsführer gewählt wurde Klaus Wiezorek, bis 1990 stellvertretender Abteilungsleiter für Kultur in der Berliner SED- Bezirksleitung. Mit Brie, der sein Amt als stellvertretender Bundesvorsitzender behalten wird, sprach die taz über die Lage der Berliner PDS.
taz: Die Berliner PDS konnte sich auf ihrem Parteitag auf keine politische Strategie verständigen. Ist das ein Krisensymptom?
Andre Brie: Nein. Beide Papiere, die vorgelegen haben, waren unreif und verdienen nicht den Namen Strategiepapier. Außerdem mußte ich feststellen, daß es in der gesamten Diskussion sehr viele Mißverständnisse gibt. Wenn man konkret in die Inhalte geht, wird vieles wesentlich weniger unversöhnlich sein.
Führt die Unklarheit über die künftige Strategie der Berliner PDS, die vorerst weiterbesteht, nicht zu einer Fortsetzung des Dauerstreits über solche Fragen wie Olympia oder Stasi?
Streit ist etwas zukunftsträchtiges. Dieser Streit ist eine der besten Sachen, die die PDS von der SED unterscheiden. Natürlich wird dadurch das Bild der PDS in der Öffentlichkeit negativ geprägt. An der Basis haben wir jedoch eine ganze Menge Aktionsfähigkeit bewiesen: Beteiligung an Straßenblockaden, Ökologieprojekte, Auseinandersetzung mit Ausländerfeindlichkeit. Was trotzdem richtig ist: Die PDS ist viel zu wenig eingreiffähig, politikfähig und öffentlich präsent.
Woran liegt das?
An unserer Geschichte, an der aus der SED übernommenen Kultur. Wir kommen aus einer Staatspartei, wo die Mitglieder nicht Politik machen mußten. Darüber hinaus war es die führende Partei eines sogenannten realsozialistischen Landes. Jetzt sind wir eine Partei, die heftigen Angriffen ausgesetzt ist in einer kapitalistischen Gesellschaft. Wir müssen die oppositionelle Kultur erst entwickeln. Es ist sehr leicht, dies rational erkannt zu haben, aber unglaublich schwer, aus einer solchen hergebrachten Kultur auszubrechen.
Unter den 34.000 PDS-Mitgliedern in Berlin sind nach wie vor nur gut 400 Westberliner. Ist das nicht deprimierend?
Wir bleiben bei dem Anspruch, uns schrittweise zu einer gesamtdeutschen Partei zu entwickeln. Das eigentlich Zukunftsträchtige wäre es, die unterschiedlichen sozialistischen Kräfte aus der PDS, aus den Ökolinken, aus der linken Sozialdemokratie, aus den Grünen und aus der Bürgerbewegung in einem Diskussionsprozeß und ohne Parteiegoismus in etwas Drittem zusammenzubringen.
Dieser Versuch hat am letzten Dienstag in Berlin einen Rückschlag erlitten. Mit Harald Wolf und Marion Seelig sind zwei unabhängige Linke aus dem PDS-Fraktionsvorstand zurückgetreten, weil die Fraktion nicht eindeutig genug den PDS-Abgeordneten und ehemaligen Stasi-Mitarbeiter Dirk Schneider zum Rücktritt aufgefordert hatte.
Das war ein Rückschlag. Ich habe mit Harald Wolf eigentlich ein gutes Verhältnis. Ich halte ihn für einen der klügsten und wichtigsten Vertreter einer wirklich modernen linken Politik. Ich glaube, daß er sich nicht ohne weiteres von diesem gemeinsamen Ziel abbringen läßt, so schwierig es ist.
War das Verhalten der Berliner PDS-Fraktion im Fall Schneider denn richtig?
Nein, das war nicht richtig. Ich hätte hier eine klarere Position bevorzugt. Andererseits fand ich auch den Rücktritt von Harald Wolf und Marion Seelig nicht richtig.
Warum haben Sie sich überhaupt bereit erklärt, neben ihrem Amt in der Bundespartei den Vorsitz dieses schwierigen Berliner Landesverbands mit zu übernehmen?
Ich bin von Gregor Gysi unter starken Druck gesetzt worden, es unbedingt zu machen. In dieser komplizierten Berliner Partei ist es nach seiner Meinung — und ich teile das — günstig, wenn jemand von außen kommt, der noch nicht in diese Probleme verstrickt ist. Hans-Martin Tillack
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