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Die Zeit und die Landstraße

Cesare Lievi inszeniert Beckett am Wiener Burgtheater  ■ Von Dieter Bandhauer

Wir wissen, in Samuel Becketts Stück Warten auf Godot gibt es keine eindeutigen Informationen, Aussagen oder Tatsachen. Ob die Farbe von Estragons Schuhen — einmal abgesehen davon, ob es überhaupt seine sind — gelb oder schwarz, gräulich oder grünlich ist, bleibt ebenso ungeklärt wie etwa die Frage, wie der Ort des Geschehens aussieht. Wladimir jedenfalls meint, daß „man es nicht beschreiben kann. Es sieht nach nichts aus. Da ist gar nichts. Da ist ein Baum.“

Der Baum zumindest scheint ein Anhaltspunkt zu sein. Auch Becketts erste Regieanweisung lautet: „Landstraße. Ein Baum.“ Auf Peter Lahers Bühne ist er jedoch nicht zu sehen, wenn sich der Vorhang hebt. Ein monochrom grauer Prospekt grenzt den Raum nach hinten ab, von rechts ragt ein versteinerter Vorhang herein. Erst wenn Wladimir Estragon erklärt, daß sie „vor dem Baum“ auf Godot warten sollen, erscheint ein dürrer Stamm wie eine Projektion am Horizont — auf dem Prospekt, dessen Grau bereits ins Rötliche gewechselt hat und der jeweils am Ende der beiden Akte, wenn plötzlich die Nacht hereinbricht, in einem Bilderbuchblau mit gelber Mondscheibe erstrahlt.

In solchen Momenten wird in Cesare Lievis Inszenierung Becketts Landstraße zu einem magischen Ort. Der Baum ist ein Bild, kein Stück Natur, an dem sich die beiden Wartenden tatsächlich aufhängen könnten — und im besten Sinn bleibt hier alles in der Schwebe: Ist dies ein Trost oder eine Verschlimmerung ihrer Situation? Ein magischer Ort also: Die Zeit ändert die Farben, die Farben symbolisieren den Lauf der Zeit. Wladimirs Befürchtung, daß die Zeit stehengeblieben sei, erfährt also bei Lievi keine Entsprechung.

Doch gerade dabei, keinen Stillstand aufkommen zu lassen, gerät Sand ins Getriebe. Ähnlich wie Pozzo, der nicht nur über materiellen Besitz und über den Knecht Lucky verfügt, sondern sich auch im Besitz einer Uhr befindet, wähnt sich der Regisseur als Herr der Zeit. Doch wie Pozzo seine Uhr abhanden kommt, entgleitet Lievi die Kontrolle über Becketts Stück.

Keine Deutung — eine philosophische, religiöse oder psychologische — bevorzugend, keinen Aufführungsstil — zwischen tiefsinnig angestrengt und leichtsinnig clownesk — forcierend, ist er bemüht, das fragwürdige Drama antwortlos in Szene zu setzen; er behandelt es mit zwei virtuosen Solisten, Traugott Buhre als Wladimir und Branko Samarovski als Estragon, wie eine Partitur: reiner Text. Auch die zahlreichen Verweise in Becketts Text auf das Theater selbst werden nicht ausgenutzt.

Lievi entgeht damit geschickt jeder Sinnstiftung — doch nicht der Frage, warum Warten auf Godot heute aufgeführt wird. Die Antwort, die bleibt: Das Stück ist eine grandiose Vorlage für zwei Schauspieler, die auch noch diese beiden berühmten Rollen der klassichen Moderne in ihr Register aufnehmen wollen. Doch selbst für Schauspieler wie Buhre und Samarovski, die es nicht notwendig haben, sich schamlos aufzuspielen, und trotzdem zu brillieren verstehen, ist dies zu wenig, um drei Stunden lang Intensität aufrechtzuerhalten.

In diesem Sinn hat Paulus Mankers und Robert Meyers Auftritt als Pozzo und Lucky in Lievis Inszenierung in erster Linie die Funktion, die Zeit schneller vergehen zu lassen, Buhre und Samarovski nicht allein zu lassen. Oder mit den Worten Wladimirs: „Jetzt ist das Ende des Programms gesichert.“ Nicht Langeweile — eines der Themen des Stückes — kommt da auf, sondern Nervosität: Wo ist die Irritation von Becketts Theater geblieben?

Samuel Beckett. Warten auf Godot. Regie: Cesare Lievi. Bühne: Peter Laher. Mit Traugott Buhre, Branko Samarovski, Paulus Manker, Robert Meyer. Burgtheater Wien. Nächste Vorstellungen: 30. und 31.10.

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