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Undemokratische Tradition aufarbeiten

■ Die herausragende Rolle des Stasi-Spions Dirk Schneider ist ein Problem der Linken in der AL

Der AL-Jugendstadtrat von Neukölln, Micha Wendt, hat den AL-Abgeordneten Bernd Köppl in der taz beschuldigt, er betreibe Geschichtsfälschung mit dem Vorwurf, Dirk Schneider habe die AL jahrelang im Stasi-Griff gehabt. Schließlich habe auch Köppl selbst noch 1979 die DDR als Arbeiterparadies gelobt. Heute antwortet Bernd Köppl. (d. Red.)

In der Auseinandersetzung um die politische Beeinflussung der Alternativen Liste durch den Stasi-Spion Dirk Schneider wird insbesondere von den Linken in der AL das Argument vorgetragen, daß die Position, die Schneider in der AL-internen Debatte einnahm, nicht dadurch falsch wird, daß er für die Stasi gearbeitet hat.

Im Brustton der Überzeugung wird dann hinzugefügt: Die politische Geschichte der AL wäre genauso verlaufen, wenn Schneider seine inhaltlichen Positionen nicht als Stasi-Spion, sondern als normales AL-Mitglied vertreten hätte. Das, was von den Linken als entlastendes Argument vorgetragen wird, drückt aber das gesamte Dilemma der eigenen AL-Geschichte aus.

Dirk Schneider war als Einflußagent der Stasi nicht deshalb erfolgreich, weil er seine Stasi-beeinflußten Positionen vor der AL so gut verheimlichte, sondern weil er gerade diese in der AL hoffähig machte und dafür eine breite Unterstützung genoß.

Natürlich konnte er besagte Positionen nicht in Reinkultur durchsetzen. Aber er war ein anerkannter Vertreter des linken Mehrheitsflügels in der AL. Unter dem Schutz dieses Flügels konnte er seine Stasi- beeinflußten Positionen gegen andere in der AL vertreten und mußte nicht mit einem Karriereknick rechnen. Schneider hat mit seinen Positionen fast alle Funktionen erreicht, die er angestrebt hatte.

Auch wenn es noch so schmerzhaft ist, müssen wir in der AL erkennen, daß wir bezüglich der Verteidigung demokratischer Freiheiten in den sozialistischen Ländern, der glasklaren Haltung in der Frage der Menschenrechte in allen gesellschaftlichen Systemen einen Nachholbedarf haben.

Das, was wir im Westen als Berufsverbote bekämpft haben, wurde von uns nicht mit gleicher Schärfe in der DDR kritisiert. Die Verteidigung der bürgerlichen Freiheitsrechte, wie der Schutz auf Unversehrtheit der Wohnung, auf Bewahrung der Post- und Fernmeldegeheimnisse, auf das Recht, sich frei und ungehindert zu versammeln, auf das Recht der Bildung von eigenständigen politischen Organisationen und Gewerkschaften usw., wurde immer wieder im Westen eingeklagt, aber nicht mit gleicher Konsequenz gegenüber den realsozialistischen Staaten erhoben. Wir müssen anerkennen, daß wir aus einer Geschichtstradition kommen, in der es offensichtlich gerechtfertigt war, daß im Namen höherer Ideale (des Sozialismus) die demokratischen Freiheiten sowie die Menschenrechte verletzt werden durften.

Das Mißtrauen breiter Bevölkerungskreise gegen diese undemokratische Tradition in der linken Bewegung ist aus diesem Grunde gerechtfertigt. Gerade aus der Auseinandersetzung mit den barbarischen und inhumanen Zuständen in der DDR, die wir heute nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems sehr viel deutlicher erkennen — unter denen unsere Bündnispartner, die Bürgerrechtsbewegung, ganz anders gelitten hat —, haben wir die Chance, diesen blinden Fleck in der eigenen Geschichte zu erkennen und uns weiterzuentwickeln.

Schneider konnte mit seiner von der Stasi beeinflußten Ideologie sehr gut an die linke Tradition anknüpfen. Das einzig tröstliche für die AL ist, daß er zum Schluß offensichtlich seine politische Rolle eher in der PDS als in der AL gesehen hat.

Die politische Geschichte vieler »Linker«, zu denen ich mich im weitesten Sinne auch noch zähle, hat eben nicht nur »manche Phase durchlaufen, die wir heute rückblickend teilweise als peinlich oder gar verwerflich empfinden« (Micha Wendt in der taz vom 22.10.91), sondern sie hat auch eine undemokratische Tradition, die wir erkennen müssen. Da wir über Dirk Schneider es diesmal am eigenen Leib erfahren, sollten wir nicht davon ablenken, sondern uns an die Aufarbeitung machen. Bernd Köppl

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